Brauchen wir eine neue Gentechnik-Definition?

Die große Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft zeigte den Bedarf, sich über die vielfältigen Aspekte des Genome Editing in der Pflanzenzucht auszutauschen

© Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen

Expert*innen aus Wissenschaft und Politik diskutierten am 14. Februar 2017 in Berlin über die naturwissenschaftlichen, ethischen und rechtlichen Perspektiven der Regulierung genom-editierter Pflanzen / Gemeinsame Veranstaltung von Leopoldina, Deutschem Ethikrat und DFG

Anknüpfungspunkte für die Diskussionsveranstaltung gab es in Hülle und Fülle: Von einer „Revolution in der molekularbiologischen Forschung wie auch im Bereich der Anwendung der neuen Präzisionsgentechnik" sprach Professor Dr. Jörg Hacker, Mikrobiologe und Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, in seinem Grußwort vor mehr als 300 Gästen aus Politik, Wissenschaft, Industrie, Medien, Behörden und Verbänden. Neue molekularbiologische Techniken wie die CRISPR-Cas-Methode erlauben es, einzelne DNA-Bausteine bis hin zu kompletten Gensequenzen präzise und kontrolliert auszutauschen und zu löschen. Sie werden in der Pflanzenzüchtung bereits eingesetzt. „Durch die Revolution der Biotechnologie verschwimmt gerade die Differenzierbarkeit, was man noch als gentechnisch veränderten Organismus bezeichnen kann und was nicht. Wie jede andere Revolution hat diese also weitreichende ethische und rechtliche Konsequenzen für unsere Gesellschaft", so Hacker.

Die Anwendung der unter dem Begriff Genomchirurgie oder Genome Editing zusammengefassten neuen Techniken in der Pflanzenzüchtung stand im Mittelpunkt der gemeinsam von Leopoldina, Deutschem Ethikrat und DFG in Berlin ausgerichteten Diskussionsveranstaltung. Im Fokus stand die Frage, ob die Gentechnikdefinition im Gentechnikgesetz angesichts der neuen molekularbiologischen Techniken grundlegend überarbeitet werden muss. Politik, Behörden, Wissenschaft und Gerichte stehen vor der Herausforderung, zeitgemäße Lösungen für die Regulierung genom-editierter Pflanzen zu finden – nicht zuletzt, da für das Jahr 2018 eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der geltenden Gentechnik-Rechtsvorschriften erwartet wird. „Kulturelles Unbehagen kann nicht einfach verboten werden", sagte Professor Dr. Peter Dabrock, Theologe und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, in seiner Begrüßung zu der komplexen Ausgangslage. Er betonte zugleich: „Wir tragen Verantwortung für das, was wir tun, aber auch für das, was wir wider besseres Wissen verhindern."

Von einer prozess- zu einer produktorientierten Betrachtung

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, Katja Becker, Vizepräsidentin der DFG, Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

V.l.: Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, Katja Becker, Vizepräsidentin der DFG, Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

© Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen

Mit Blick auf die Regulierung gentechnisch veränderter Pflanzen sagte Professor Dr. Katja Becker, Biochemikerin und Molekularbiologin sowie Vizepräsidentin der DFG: „Im Vordergrund der Betrachtung sollte das von einer neuartigen Pflanze ausgehende mögliche Risiko stehen – unabhängig von der Technologie, mit der sie hergestellt wurde. Dies wäre im Sinne der Verbraucher ebenso wie im Interesse der Forschung und könnte neue Möglichkeiten für eine zukunftsgerichtete, nachhaltige Landwirtschaft eröffnen." Zugleich sei es die Verantwortung der Wissenschaft, mögliche Risiken für die Gesellschaft oder die Umwelt sorgfältig abzuwägen und zu kommunizieren. „Als Beispiel möchte ich die Stellungnahme zu ‚Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung' aus dem Jahr 2014 nennen, in der DFG und Leopoldina die Verantwortung deutlich benannt und Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung formuliert haben." Darüber hinaus, so Becker weiter, begleite die DFG mit ihren Senatskommissionen seit Jahren die Diskussion über die Grüne Gentechnik und versuche, ihren Beitrag für die Grundlagenforschung in den Pflanzenwissenschaften und die Bedeutung von Freilandversuchen in diesem Kontext zu vermitteln.

In drei Sessions erörterten Wissenschaftler*innen die aktuellen Entwicklungen in der Pflanzenzucht und die daraus resultierenden ethischen und rechtlichen Fragen. Dabei beleuchteten sie folgende Aspekte: Wie unterscheiden sich genom-editierte Pflanzen von den Produkten konventioneller Züchtungsmethoden? Welche Chancen bieten die neuen Methoden für die nachhaltige Landwirtschaft und die Erhaltung der Biodiversität? Was versteht unsere Gesellschaft eigentlich heute noch unter den Begriffen „natürlich" und „künstlich"? Wie kann man natürliche und künstliche genetische Veränderungen regulieren, wenn man sie nicht mehr voneinander unterscheiden kann?

Eine Vielfalt von Positionen

Das Podium

Das Podium: V.l.: Detlef Bartsch, Leiter der Abteilung Gentechnik Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter, Harald Ebner MdB, Bündnis 90 DIE GRÜNEN/Bundestags-Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Margret Engelhard, Fachgebietsleiterin „Bewertung gentechnisch veränderter Organismen/Gentechnikgesetz", Bundesamt für Naturschutz, Hans-Georg Dederer, Universität Passau (Moderation)

© Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen

In einer abschließenden Podiumsdiskussion debattierten Vertreterinnen und Vertreter des Bundestags, des Bundesamts für Naturschutz, des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter darüber, ob eine neue Definition der Gentechnik notwendig sei. Die Diskussion zeigte exemplarisch die Bandbreite der Positionen zum Thema auf: Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, sah keinen Bedarf für eine Neudefinition und hielt das Gentechnikgesetz für ausreichend differenziert. Es bezeichne beispielsweise Mutagenese als Gentechnik, stelle sie aber nicht unter die Zulassungspflicht. Gentechnisch editierte Pflanzen sollten geprüft und gekennzeichnet werden, dies sei für die Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger unabdingbar.

Eine Vielfalt von Positionen

Beteiligung des Publikums

Das fachkundige Publikum beteiligte sich mit Nachfragen und Anmerkungen an der regen Diskussion

© Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen

Dagegen sprach sich Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter, für eine produktorientierte Auslegung des Gentechnikbegriffs aus. Mit den neuen Methoden erzeugte Pflanzen, die sich im Ergebnis nicht von Pflanzen unterscheiden, die mit konventionellen Züchtungsmethoden – wie zum Beispiel der chemischen Mutagenese – erzeugt wurden, dürften nicht als gentechnisch veränderte Organismen gelten. In die gleiche Richtung gingen die Argumente von Detlef Bartsch, Leiter der Abteilung Gentechnik des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, der die Schwierigkeiten für die Zulassungsbehörden darstellte, wenn sich genom-editierte und mit konventionellen Methoden erzeugte Pflanzen nicht mehr voneinander unterscheiden ließen. Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz betonte dagegen die Notwendigkeit, das von genom-editierten Pflanzen ausgehende Risiko im Blick zu behalten, weshalb diese einer Regulierung unterstehen müssten.

In seinem Schlusswort betonte der Leopoldina-Präsident, wie wichtig dieser Austausch gewesen sei. Die Debatte über das Genome Editing in der Pflanzenzucht sei jedoch längst nicht abgeschlossen. „Unabhängig davon, wie der Streit ausgeht, wie der Europäische Gerichtshof entscheiden wird, das Thema wird uns bleiben", so Hacker.

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