Fünf deutsche Akademien, 35 im Verband der Deutschen Hochschulen vertretene Universitäten und Hochschulen, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Vorläufer der Max-Planck-Gesellschaft), der Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine sowie die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte haben im Oktober 1920 den Verein „Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung – Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft – E.V.“ gegründet, um „die der deutschen wissenschaftlichen Forschung durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene Gefahr völligen Zusammenbruchs abzuwenden.“
Die wirtschaftliche Lage der Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen war nach dem Ersten Weltkrieg in der Tat sehr ernst. Ihre Etats waren seit 1913 nicht mehr erhöht worden; gleichzeitig belastete eine Erhöhung der Beamtengehälter und die schon während des Krieges einsetzende Geldentwertung die Haushalte der Universitäten, Bibliotheken, Museen und Forschungseinrichtungen. Eine verstärkte Förderung wäre aber gerade nach Ende des Krieges besonders nötig gewesen – war doch dieser verantwortlich für die Unterbrechung des Wissenschaftsbetriebes: Junge Wissenschaftler wurden zum Militärdienst einberufen und geplante Forschungsvorhaben verschoben. Zudem wurde die Grundlagenforschung zugunsten kriegswichtiger Forschung nahezu eingestellt.
Verschärft wurde diese Lage noch durch eine internationale Isolierung der deutschen Wissenschaft. Als Folge des Versailler Vertrages, der Deutschland die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg gab, kam es zu einem Boykott der deutschen Wissenschaft: Deutschland wurde von internationalen wissenschaftlichen Organisationen, Verbänden und Veranstaltungen ausgeschlossen,deutsche Forschungsbeiträge fanden keine Aufnahme mehr in internationale Fachzeitschriften und Bibliographien. Allerdings war die deutsche Wissenschaft nicht unschuldig an ihrer Isolierung, hatte sie sich doch schon zu Beginn des Krieges in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft durch militaristische Pamphlete namhafter deutscher Gelehrten diskreditiert.
Auch wenn die deutschen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen unterschiedlichen Trägern gehörten, so hatten doch alle unter einer erheblichen Unterfinanzierung zu leiden – bedingt vor allem durch die schon im Ersten Weltkrieg beginnende Inflation.
Die Universitäten und die Akademien der Wissenschaften lagen in der Kompetenz der einzelnen Länder. Diese konnten die Mittel für Wissenschaft und Forschung kaum mehr aufbringen. Erschwerend kam hinzu, dass Finanzgesetze des Reiches die Länder daran hinderten, die Kaufkrafteinbußen in ihren Kultusbudgets selbständig auszugleichen.
Einige Forschungsanstalten wurden aus Stiftungsmitteln unterhalten, prominentes Beispiel ist hier die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG). Ihre Forschungsinstitute – in der Kaiserzeit und im Ersten Weltkrieg noch gut dotiert – gerieten zunehmend in eine prekäre finanzielle Lage, da die Zinserträge aus dem Stiftungskapital nicht mehr ausreichten. Die Institutsdirektoren bezogen ihre Gehälter aus ihrer Tätigkeit als Professoren an Universitäten und waren damit abhängig von Landesmitteln.
Auch das Reich unterhielt eigene Forschungseinrichtungen, so etwa die Physikalisch-Technische Reichsanstalt. Daneben finanzierte es auch namhafte Museen wie das Römisch-Germanische Museum in Mainz oder das Deutsche Museum und unterhielt große geisteswissenschaftliche Projekte wie die Monumenta Germaniae Historica. Auch diese Einrichtungen waren durch ihre unzureichenden Etats kaum mehr arbeitsfähig.
Die Industrie forderte eine bessere Ausstattung vor allem der universitären Forschung, da sie sich um den technikwissenschaftlichen Nachwuchs für ihre Firmenlaboratorien sorgte. Die chemische Industrie begann daher schon 1916 mit der Einrichtung von Fördervereinen zur Vergabe von Stipendien. Vor allem drei Persönlichkeiten aus der Forschung und der Wissenschaftsadministration ergriffen die Initiative, um zusätzliche Finanzmittel – vor allem vom Reich – für die notleidenden Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen zu aktivieren:
Friedrich Schmidt-Ott wirkte auf zahlreichen Gebieten der Wissenschafts- und Kulturpolitik und war von 1917 bis November 1918 preußischer Kultusminister. Als Organisator der Hochschulkonferenzen der deutschen Länder verfügte er über ausgezeichnete Kontakte zu Universitäten und Hochschulen. Darüber hinaus beteiligte er sich an der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und war Schatzmeister des KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie. Schmidt-Ott war erster Präsident der Notgemeinschaft und bekleidete dieses Amt bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1934. 1935 übernahm er den Vorsitz des Stifterverbandes der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft.
Die treibende Kraft bei der Bildung der Notgemeinschaft war Fritz Haber. Er leitete das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Dahlem und war Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1919 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Fritz Haber wurde 1920 Vizepräsident der Notgemeinschaft; er legte sein Amt als Präsidiumsmitglied im Mai 1933 nieder.
Bei den Vorbereitungen zur Gründung der Notgemeinschaft 1920 tat sich auch der wissenschaftspolitisch einflussreiche Kirchenhistoriker Adolf von Harnack hervor. Als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Direktor der Preußischen Staatsbibliothek und Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften kannte er die Notlage der außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen aus eigenem Erleben. Er unterhielt zudem enge Kontakte zu Friedrich Schmidt-Ott.
Schon kurz nach Ende des Krieges plädierte dieser/letzterer in seinem Aufsatz „Die Kulturaufgaben und das Reich“ vom April 1919 für eine länderübergreifende Forschungsförderungund für eine Bereitstellung von Reichsmitteln für die Finanzierung der notleidenden Wissenschaft.
Die fünf deutschen Akademien taten im Februar 1920 den ersten konkreten Schritt, um das Reich für die Unterstützung der Wissenschaft in größerem Umfang zu gewinnen: Sie beantragten bei der Verfassunggebenden Nationalversammlung eine Unterstützung von drei Millionen Mark. Die von Adolf von Harnack zu diesem Zweck verfasste Begründung unterstrich die Bedeutung der Wissenschaft für die gesamte Entwicklung Deutschlands:
„Zu den vitalen Notwendigkeiten des Staates gehört auch die Erhaltung der wenigen Aktivposten, die er noch besitzt. Unter diesen Aktivposten kommt der deutschen Wissenschaft eine hervorragende Stellung zu. Sie ist die wichtigste Voraussetzung nicht nur für die Erhaltung der Bildung im Lande sowie für die Technik und Industrie Deutschlands, sondern auch für sein Ansehen und seine Weltstellung, von der wiederum Geltung und Kredit abhängen.“
Auch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft suchte nach Wegen, um aus der Krise zu kommen. Eine engere Bindung an die Wirtschaft unter Beibehaltung der wissenschaftlichen Freiheit schien schwierig und wurde in internen Erörterungen verworfen. Die Führung der KWG wandte sich daher im Februar 1920 mit ihrem Anliegen an den Staat und trat in Verhandlungen über eine größere finanzielle Unterstützung mit dem Land Preußen und dem Reich.
Doch die Anstrengungen der Akademien und der KWG waren nur bedingt erfolgreich: Der Antrag der Akademien an die Verfassungsgebende Nationalversammlungen konnte aus formalen Gründen nicht weiter bearbeitet werden. Die Verhandlungen der KWG mit verschiedenen Ministerien zogen sich hin, und erst im November 1920 erhielt die KWG zusätzliche Zuschüsse von Preußen und dem Reich.
Um breiteres Gehör über Regierungskreise hinaus zu erreichen, verwiesen namhafte Wissenschafter in öffentlichkeitswirksamen Zeitungsartikeln auf die „Not der Wissenschaft“: Fritz Haber führte in seinem Artikel „Die gefährdete Forschungsarbeit“ aus, dass ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung die Institute der KWG gezwungen seien, auf Kosten der Zukunft zu leben und das Stiftungskapital anzubrechen, was aber ineinigen Jahren verbraucht sein werde. Danach „werden diese wissenschaftlichen Anstalten den venezianischen Palästen gleichen, die leer stehen und dem Besucher ein interessantes Bild vergangener Bedeutung geben.“ In einem weiteren Artikel kamen Adolf von Harnack als Leiter der preußischen Staatbibliothek und der Physiker Heinrich Rubens von der Berliner Universität zu Wort und beschrieben die enormen Kostensteigerungen bei der Beschaffung von Büchern, Apparaten und Bezahlung von Gehältern.
Einen Monat später, im März 1920, gründeten führende Vertreter aus Wissenschaft und Industrie einen Arbeitsausschuss, der sich in der Folgezeit „Notgemeinschaft“ nannte. Der informelle Arbeitskreis stellte sich die Aufgabe, das gemeinsame Vorgehen in Form von Denkschriften und Anträgen an das Parlament, die Reichsregierung sowie die Landesregierungen, aber auch an potenzielle Sponsoren aus der Wirtschaft zu koordinieren, um so die Bereitstellung erforderlicher Mittel zu erwirken. Wurde der Arbeitsausschuss zunächst von den Berliner Universitäten, den Kaiser-Wilhelm-Instituten, der Preußischen Staatsbibliothek sowie Fachverbänden gegründet, erfuhr die Notgemeinschaft im Sommer 1920 eine Erweiterung um alle Universitäten und Technischen Hochschulen sowie den fünf Akademien der Wissenschaften. Friedrich Schmidt-Ott entsprach der Bitte des Ausschusses, den Vorsitz zu übernehmen.
Das Reichsministerium des Innern (RMdI) als auch das Reichsfinanzministerium zeigten Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung der Notgemeinschaft. Nach Verhandlungen mit Vertretern der Hochschulländer und Reichsbehörden im Frühling und Sommer 1920 stellte Reichsfinanzminister Wirth im September 20 Millionen Mark „zur Förderung der von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft verfolgten Zwecke“ zur Verfügung. Das Reich, so Wirth, werde unmittelbar für reine Forschungszwecke Finanzmittelbereitstellen, den Unterhalt der Hochschulen und Akademien müssten aber weiterhin die Einzelstaaten aufbringen. Die Aufgabe der Notgemeinschaft bestehe darin, so in ihrem Schreiben an das RMdI vom 24.9.1920, „Mittel für die Erhaltung der deutschen Wissenschaft zu werben und durch zweckmäßige Organisation der wissenschaftlichen Arbeit, durch geeignete Arbeitsteilung und durch günstige Beschaffung der Forschungsmittel einen höheren Wirkungsgrad der verfügbaren Geldmittel zu erzielen.“
Am 11. Oktober informierte das Reichsinnenministerium die Notgemeinschaft darüber, dass für das Haushaltsjahr 1921 weitere 20 Millionen Mark beantragt seien. Nach dieser Zusage entwarf ein erweiterter vorläufiger Vorstand der Notgemeinschaft mit Schmidt-Ott und seinem Mitarbeiter Eduard Wildhagen, Fritz Haber, Adolf von Harnack und einem Vertreter aus dem Reichsinnenministerium die Struktur der neuen Organisation: Bis zur Gründungssitzung am 30. Oktober wurden verschiedene Satzungsentwürfe beraten. Als wichtigste Organe waren neben der Mitgliederversammlung ein vierköpfiges Präsidium, ein Hauptausschuss und Fachausschüsse vorgesehen. Zur Diskussion standen die Rechtsformen Verein oder Stiftung. Die Stiftungsvariante wurde vor allem von Fritz Haber vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen mit dem Finanzierungsmodell der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft verworfen, da die Zinserträge aus dem Stiftungsvermögen bei weitem nicht ausreichen würden, den finanziellen Bedarf zu decken.
Die Gründungssitzung fand schließlich am 30. Oktober 1920 in der Preußischen Staatsbibliothek statt, und die Eintragung in das Vereinsregister erfolgte beim Amtsgericht Berlin-Mitte am 7.1.1921 unter der Nr. 512566.
Die Notgemeinschaft hoffte, auch die deutsche Wirtschaft für die finanzielle Beteiligung zur Unterstützung der Forschung und Wissenschaft zu gewinnen. Zu diesem Zwecke wurde im Dezember 1920 der „Stifterverband der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ gegründet, dessen Vorstand und Verwaltungsrat im Wesentlichen aus Industriellen, Großkaufleuten sowie Bankdirektoren bestand. Er sollte Gelder vornehmlich aus Industrie und Wirtschaft für die Unterstützung von Forschung und Lehre beschaffen.
Im Vorfeld riefen sieben Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zu einer Spendenaktion „An die deutschen Landwirte, Kaufleute, Gewerbetreibenden und Industriellen“ auf. Dieser Aufruf erschien in der Presse und wurde in 44.000 Exemplaren verschickt. Er war zwar sehr erfolgreich, jedoch blieben in den Folgejahren die Spenden hinter den Erwartungen zurück; zudem wurden der Notgemeinschaft nur die Zinserträge ausgezahlt. Sie verwendete die Gelder fast ausschließlich für Forschungsstipendien.
Der Stifterverband ist der DFG und ihrer Vorgängerorganisation, der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, eng verbunden. Das Merton-Magazin des Stifterverbandes nutzt das Jubiläumsjahr, um sich geschichtlichen Themen zu widmen.
Historische Förderfälle in GEPRIS Historisch
Die im Jahr 2020 anlässlich des hundertsten Gründungstages der DFG-Vorgängereinrichtung „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ veröffentlichte Datenbank GEPRIS Historisch macht mehr als 50.000 Förderfälle der Jahre 1920 bis 1945 unter Beteiligung von über 13.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern recherchierbar. Das System wird ergänzt um einen umfangreichen Textapparat, der in mehreren Kapiteln auch auf Fragestellungen mit Bezug zu den Gründungsjahren der Notgemeinschaft eingeht.
Hinweise zur genutzten Literatur und den Fundorten