Emmy Noether-Treffen 2019

Treffen in Potsdam mit rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern / Wissenschaftskommunikation: Diskussion beim Wissenschaftspolitischen Abend und praktiziert im neuen Emmy Lecture Quartett / Neuigkeiten aus der DFG

Vom 5. bis 7. Juli 2019 versammelten sich die Geförderten des Emmy Noether-Programms der DFG und seine Alumni in einem am Templiner See gelegenen Hotel in Potsdam. Als sehr gewinnbringend für alle Beteiligten erwies sich auch beim 18. Jahrestreffen die Mischung aus „frisch“ Geförderten und langjährigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Treffen sowie Mitgliedern der DFG. So konnten die Leiterinnen und Leiter der Nachwuchsgruppen sich über die Förderung und fachlichen Spezifika der Gruppen informieren, austauschen und anregende Verbindungen knüpfen oder auffrischen. Gleichwohl standen nicht nur die eigene Gruppe und Fragen der wissenschaftlichen Karriere im Fokus. Diskutiert wurden auch die sich ändernden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Wissenschaft.

Gruppenbild vor dem Seehotel beim 18. Emmy Noether-Jahrestreffen

© DFG/Bettina Ausserhofer

Wissenschaftspolitischer Abend: „Raus aus der Komfortzone!“

In Zeiten international wissenschaftsskeptischer bis -feindlicher Entwicklungen und Debatten über „falsche Fakten“ widmete sich der Wissenschaftspolitische Abend unter dem Titel „Raus aus der Komfortzone! Wissenschaftskommunikation und die Fragen nach dem „Wer, Wie, Was, Warum?“ dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Es kristallisierten sich rasch grundlegende Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft sowie nach der passenden Form von Wissenschaftskommunikation und den dafür notwendigen Rahmenbedingungen heraus. Als Podiumsdiskussion mit einem freien Stuhl für wechselnde Personen aus dem Publikum angelegt, entwickelte sich zwischen den Podiumsgästen – Prof. Dr. Cornelia Betsch, Heisenberg-Professorin für „Health Communication“ der Universität Erfurt, Prof. Dr. Roland A. Fischer, Vizepräsident der DFG, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Mitglied des Bundestags und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Forschung, und dem Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums Prof. Dr. Johannes Vogel – sowie den Emmy Noether-Geförderten ein intensiver Austausch. Moderatorin war Uschi Heidel.

Über die Frage nach der Verantwortung von Wissenschaft, die Ergebnisse ihrer mit öffentlichen Geldern finanzierten Forschung der Öffentlichkeit zu vermitteln, herrschte Einigkeit unter den Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Angesichts zahlreicher komplexer Fragen wie dem Klimawandel, knapper werdender Ressourcen und kultureller Konflikte sei es demokratische Pflicht, Wissenschaft und wissenschaftliche Themen zu vermitteln, sagte Rossmann. Dabei sei es fundamental, mehr über den komplexen Prozess von Wissenschaft zu sprechen. „Wir machen und erzählen viel, die Tatsachen aber verschlechtern sich. Dann glauben die Leute, man habe ihnen etwas vorgemacht und werden anfällig für Opportunisten und Populisten“, so Rossmann. Betsch kritisierte die professionelle Wissenschaftskommunikation in Deutschland, die sich häufig auf Erfolgsmeldungen und Wissenschaftsmarketing beschränke. Ungewissheit liege in der Natur von Wissenschaft und man müsse den Menschen vermitteln, dass es gelte, diese auszuhalten.

Wer die geforderte Wissenschaftskommunikation betreiben solle, war für Vogel klar: „Authentizität ist sehr wichtig – niemand kann Themen so vermitteln, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst.“ Er veranschaulichte diesen Punkt anhand von Beispielen öffentlicher Veranstaltungen im Berliner Naturkundemuseum. Angesichts der unterschiedlichen Typen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und ihrer hohen Arbeitsbelastung machte Vogel den Vorschlag, insgesamt 20 Prozent der Zeit des deutschen Wissenschaftssystems in den Dialog mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu investieren, dies aber arbeitsteilig anzugehen. An die Emmys gerichtet sagte er: „Sie gehören zu der Elite, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Professur erreicht. Darin unterscheiden Sie sich von vielen anderen, die promoviert haben. Es gibt viele, die tolle Wissenschaftler sind und gleichzeitig andere Talente haben.“ Diese Menschen sollten weiter ausgebildet werden und in neu zu schaffenden Jobs Wissen vermitteln. Zentral für die Kommunikation von Wissenschaft sei auch ein „guter, auskömmlicher und unabhängiger Journalismus“, sagte Rossmann.

Wie groß die Notwendigkeit eines Struktur- und Kulturwandels im deutschen Wissenschaftssystem ist, um es stärker für den Austausch mit der Gesellschaft zu öffnen, machten gleich mehrere Beiträge deutlich. „Ich nehme mir jetzt vor, eine Zeitspende von zwei Stunden in Wissenschaftskommunikation zu investieren, aber Montag öffne ich die E-Mail und finde viele wissenschaftsfremde Aufgaben vor, die in die Unis hineingetragen werden, ohne dass es dafür Ressourcen gibt“, beschrieb ein Emmy Noether-Geförderter seine Situation. Rossmann und Vogel unterstützen die Forderung nach einer moderneren Hochschulverwaltung. Gerade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Aufbauphase ihrer Karriere dürfe man nicht zu viele Verwaltungsaufgaben aufladen. Fischer kritisierte, dass sich unter den „Großkopferten“ immer die gleichen an Kommunikationsaktivitäten der Unis beteiligten. Er appellierte an die arrivierten Kolleginnen und Kollegen, indem er an ihre besondere Verantwortung erinnerte, die sie aufgrund ihrer gesicherten Position tragen. Fischer unterstrich aber auch die Bedeutung einer professionellen Unterstützung der Wissenschaft im Austausch mit der Öffentlichkeit und forderte eine stärkere Erforschung der Wissenschaftskommunikation und ihrer Formate. Rossmann regte zudem ein Gutachten des Wissenschaftsrates sowie eine zuständige Akademie an.

Abschließend sagte Rossmann, dass in Deutschland schon viel erreicht sei, wenn Wissenschaftskommunikation weithin Bestandteil des Selbstverständnisses guter wissenschaftlicher Praxis geworden sei. Die Leute sollten stolz auf ihre Kommunikationsaktivitäten sein und diese selbstbewusst in ihre Bewerbungen aufnehmen. Vizepräsident Fischer erinnerte zudem an die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Wissenschaft, die weltweit ein seltenes Privileg darstelle und mit einer Verpflichtung und Verantwortung einhergehe. Für konkrete Anregungen könne man sich an den jährlich ausgezeichneten Communicator-Preisträgerinnen und -Preisträgern der DFG orientieren.

Emmy Noether Lectures

Wissenschaftskommunikation ist nicht zuletzt auch zwischen den verschiedenen Wissenschaftsgebieten wichtig, und so fand die Emmy Lecture in diesem Jahr in einem Science Slam ähnlichen Format statt. Vier Geförderte aus den vier Wissenschaftsbereichen – den Geistes- und Sozialwissenschaften, Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften – hielten einen je zehnminütigen Kurzvortrag. Angeregt hatten das neue Format Emmy Noether-Geförderte, die in die Planung des Treffens eingebunden waren. So lasse sich ein breiterer Überblick über die vielfältigen Projekte erhalten. Nach jedem Vortrag bestand die Gelegenheit zu Fragen, der weitere Austausch folgte beim traditionellen Barbecue.

Die Bandbreite der Kurzvorträge reichte von Kulturgeschichte und Zellkulturen bis hin zu Biomaterialien und dunkler Materie. Den Auftakt machte Dr. Anna Langenbruch von der Universität Oldenburg mit ihrem Kurzvortrag „Stranger than fiction? Musikgeschichte auf der Bühne!“, in dem sie über ihre Arbeiten zu Konstruktionen der musikalischen Vergangenheit im Musiktheater sprach. Sie veranschaulichte dies am Beispiel einer Szene aus der Oper „The Classical Style“, die ein Treffen von Beethoven, Haydn und Mozart im Himmel darstellt. Von den musikalischen Klängen auf der Bühne ging es weiter zu Schallwellen im Tierreich: „Sound is in the Air: Predator-Prey-Interactions of Bats and Insects” lautete der Titel des Beitrags von Dr. Holger Goerlitz vom Max-Planck-Institut für Ornithologie im bayrischen Seewiesen. Goerlitz untersucht ökologisch relevante Räuber-Beute-Beziehungen am Beispiel von echoortenden Fledermäusen und hörenden Insekten als Modellsysteme für auditorische Informationsverarbeitung und auditorisch gesteuertes Verhalten. Als Beispiel nannte er Heuschrecken, die Geräusche nutzen, um Partner anzulocken – dadurch machen sie aber auch ihre Feinde, die Fledermäuse, auf sich aufmerksam. Im Dilemma zwischen Fortpflanzung und Überleben passen sie ihren Gesang daher je nach Alter an.

Weiter ging es mit den Materialwissenschaften und Prof. Dr. Dorothea Brüggemann von der Universität Bremen, die über „Neue Biomaterialien aus Nanofasern“ sprach. Die Biophysikerin forscht mit ihrer Nachwuchsgruppe zum Thema „Smarte Biomaterialien aus proteinbasierten Komposit-Nanofasern“. Zum Beispiel will sie neue Biomaterialien entwickeln, die im Körper die Selbstheilung unterstützen, oder auch neue Wundauflagen, die der menschlichen Haut ähneln und in der individualisierten Medizin verwendet werden können. Im letzten Kurzvortrag „Wie entdeckt man unsichtbare Teilchen?“ führte Prof. Dr. Felix Kahlhoefer von der RWTH Aachen die Zuhörerinnen und Zuhörer vom Material zur Materie beziehungsweise zur dunklen Materie, also von Nanoteilchen zu unsichtbaren Teilchen. Kahlhoefers Emmy Noether-Gruppe ist im Bereich der Theoretischen Teilchenphysik und Kosmologie angesiedelt und untersucht Methoden und Werkzeuge für die Analyse und Interpretation von Experimenten zum Nachweis dunkler Materie. Er erklärte, wie er in interdisziplinärer Zusammenarbeit versucht, durch eine Kombination von astrophysikalischen Beobachtungen, analytischen Berechnungen und Laborexperimenten Teilchen nachzuweisen, die sich bisher dem Nachweis entzogen haben.

Aktuelles aus der DFG

Einen „Forschungsförder-Slam“ bestritten die beiden Abteilungsleiterinnen der DFG Dr. Ulrike Eickhoff, zuständig für die Programm- und Infrastrukturförderung, und Dr. Annette Schmidtmann, Leiterin der Abteilung Fachliche Angelegenheiten der Forschungsförderung, mit dem Vortrag „Aktuelles aus der DFG“. Die DFG-Jahresversammlung hatte nur wenige Tage zuvor stattgefunden, bei der eine Reihe wichtiger Wahlen durchgeführt und Entscheidungen getroffen worden waren. So berichtete Eickhoff über die Wahl der ersten Präsidentin der DFG, Prof. Dr. Katja Becker von der Universität Gießen, die das Amt im Januar 2020 antreten wird. Neu in das Präsidium gewählt wurde neben der Informatikerin Prof. Dr. Kerstin Schill die Medizinerin Prof. Dr. Britta Siegmund, eine ehemalige Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleiterin, die am Treffen teilnahm. Eickhoff ermunterte die Emmys, dieses Beispiel als Ansporn für den eigenen Werdegang zu nehmen.

Weitere Themen reichten von den für die DFG wichtigen wissenschaftspolitischen Entscheidungen zur Weiterförderung der „Pakte“, die der DFG eine beispiellose Planungssicherheit für ihr Förderhandeln geben, bis zur Exzellenzstrategie, in deren Rahmen Mitte Juli die Entscheidungen über die Förderung der Exzellenzuniversitäten gefallen sind. Wegen der Möglichkeit zur Beteiligung berichtete Eickhoff den Geförderten zudem über zwei große Projekte, die die DFG unter anderem derzeit bewegen: Der digitale Wandel in den Wissenschaften und die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).

Schmidtmann wiederum informierte über den auf der DFG-Jahresversammlung beschlossenen Kodex zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, verbunden mit dem Appell: „Es ist ein Thema, von dem man hofft, dass es einen nie betreffen wird, aber wenn es so ist, ist man meist nicht vorbereitet. Lesen Sie daher den Kodex und sprechen Sie auch in Ihrer Arbeitsgruppe darüber, klären Sie auf.“ Ferner appellierte sie an die Geförderten, sich an den im Herbst 2019 anstehenden Fachkollegienwahlen zu beteiligen und damit zur Selbstverwaltung der Wissenschaft beizutragen. Gelegenheit zur Kommunikation über die eigene Forschungsarbeit und deren Bedeutung bietet sich den Emmys wie auch allen anderen DFG-Geförderten überdies im Rahmen des von der DFG mit dem Stifterverband ausgetragenen Jubiläumsjahrs „DFG2020 – Für das Wissen entscheiden“.

Nicht zuletzt berichtete Schmidtmann ausführlich über die Einführung eines neuen Förderprogramms im Rahmen der Personenförderung der DFG: Das Walter Benjamin-Programm ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Qualifizierungsphase im Anschluss an die Promotion, ein eigenes Forschungsvorhaben am Ort ihrer Wahl selbstständig umzusetzen. Schmidtmann rief die Anwesenden dazu auf, die Mitglieder ihrer Nachwuchsgruppen darüber zu informieren und gegebenenfalls einer vielversprechenden Nachwuchswissenschaftlerin oder einem Nachwuchswissenschaftler unabhängige Forschungsarbeit im eigenen Umfeld zu ermöglichen und ihre oder seine wissenschaftliche Karriere zu fördern.

Materialien und Präsentationen auf dem Emmy Noether-Treffen 2019