Für Sie gelesen: Interview mit Francis Collins

(02.03.22) Nach 12 Jahren an der Spitze der National Institutes of Health (NIH) ist Francis Collins zum 20. Dezember als NIH-Direktor zurückgetreten und hat die Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter, Lawrence Tabak, übergeben, der bis zu einer Bestimmung der Nachfolge durch den US-Präsidenten die NIH kommissarisch leiten wird. Am 3. Dezember veröffentlichte Nature ein Interview mit Collins zu den wichtigsten Stationen seiner Amtszeit und beschrieb den ehemaligen Leiter des Human Genome Projects dabei als einen Freund von Großprojekten wie dem All of Us Project, das Gesundheitsdaten von einer Million Menschen sammeln und auswerten soll.

Entsprechend folgerichtig ist die Antwort auf die Frage nach den wichtigsten Projekten während seiner Amtszeit, die neben All of Us die darauf aufbauenden Bemühungen um eine deutlich stärker individualisierte Medizin, die BRAIN Initiative und die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 innerhalb von nur 10 Monaten hervorhebt. Weniger glücklich sei er hingegen hinsichtlich des Tempos bei der Integration unterrepräsentierter Gruppen in die NIH. Er sieht es weniger als ein Thema von Gerechtigkeit bzw. Teilhabe als vielmehr als einen verschwenderischen Umgang mit Talent: „We are losing out on talent; we’re losing out on productivity that we know comes from diversity. We’ve pushed hard on this during my time as NIH director, and we have made some progress, but we’ve got a long way to go.”

Zur Frage, wie er in zwei Jahren Erfolg beim nächsten Großprojekt der NIH, der Einrichtung einer ARPA-H, beschreiben würde, antwortet Collins, dass bis dahin ein visionärer Leiter gefunden sein solle, der zwischen 50 und 100 Projektmanagern vorstehe, die wiederum Portfolios von Projekten betreuten, die genau das richtige Maß an Erfolgsaussichten hätten. Diese Zone beschreibt er mit den Worten: „I want to see some significant evidence of successes, but also some significant evidence of failures. Because if there aren’t some failures – and they need to fail early – then they’re not being risky enough.”

Für den Umgang mit der Politik, dem Parlament und der Regierung rät Collins zu größtmöglichem Zeiteinsatz, zu Sicherheitsabstand zu politisch umstrittenen Fragen und vor allem zu Offenheit und Ehrlichkeit, selbst wenn es bedeutet, der Politik nicht die erhofften Versprechungen machen zu können. Einen entscheidenden Vorteil habe der Leiter der weltgrößten Forschungs- und Förderorganisation in den Lebenswissenschaften, wenn er sich mit der Politik, gleich welcher Couleur, trifft: „And they’re all concerned about that [about medical research that may advance the cause of preventing or treating a terrible disease], for themselves, their families, their constituents.“

Auf mögliche ethisch-moralische Konflikte geht das Interview an zwei Stellen ein. Das Verbot der Trump-Administration zur Förderung von Forschung an embryonalem Gewebe sei eine politische Entscheidung gewesen, die Collins nicht mitgetragen habe, obwohl er Christ und Verfechter der Idee von der Heiligkeit menschlichen Lebens sei. Im Hinblick auf die 2018 publik gewordene Gen-Manipulation von Menschen mit dem CRISPR-Verfahren erinnert er aber auch an die Verantwortung der Forschenden, auf mögliche Überschreitungen ethischer Grenzen bei der Verfolgung des technisch Möglichen hinzuweisen: „We are not just technicians. We are also supposed to be people who have a moral compass, and if something is happening in biological research that crosses that line into territory, which, in general, we as the human species have concluded shouldn’t be happening, then it’s up to us to point that out.” Das Problem sei allerdings, dass es bislang keine internationale Einrichtung gebe, die sich für alle verbindlich mit der Frage befasse, was ethisch zulässig sei und was nicht.

Zu der in den vergangenen Monaten seitens der republikanischen Partei in Washington stark kritisierten NIH-Förderung der EcoHealth Alliance für ein Forschungsprojekt am Institut für Virologie im chinesischen Wuhan kann Collins nichts weiter sagen als: „I will be quick to say [the research] has nothing to do with the origin of SARS-CoV-2. I don’t know what more we could be sharing.“

Insgesamt würde wissenschaftliche Forschung leider immer mehr von der Politik instrumentalisiert und entsprechend attackiert, wenn Ergebnisse nicht politischen Wünschen entsprächen. Er schließt mit den Worten: „I want to call this out as one of my most major concerns as I stepped down from the NIH, of looking at the situation in our nation. Somewhere along the way, our political hyperpolarization began having a lot of really dangerous consequences, where in many instances we seem to have lost a sense of how to tell the difference between a fact and an opinion – or some Facebook post that’s, frankly, a lie. That’s truly dangerous.”