(22.09.21) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium und seit 2019 mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Disziplinen herrschenden Überzeugung, dass es hilfreich für die Karriere sei, „in Amerika gewesen“ zu sein. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der DFG-Geförderten vermitteln. In dieser Ausgabe schauen wir, wer sich hinter der Fördernummer MO 3694 verbirgt.
DFG: Liebe Frau Dr. Mossakowski, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit uns nehmen. Sie sind im polnischen Toruń zur Welt gekommen, der Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus. Hätte da eine Karriere als Astronomin für Sie nicht nähergelegen?
Agata Mossakowski (AM): Das ist eine vielschichtige Frage. Bevor ich sie beantworte, möchte ich mit erst einmal bei der DFG für das Forschungsstipendium bedanken, mit dem ich seit nunmehr zwei Jahren im kalifornischen Davis in einer weltweit führenden Gruppe in der Muskelphysiologie arbeiten kann. Zudem schätze ich die Gelegenheit zu einem Gespräch sehr und freue mich, Ihnen dabei helfen zu können, einige der Geförderten aus verschiedenen Blickwinkeln auszuleuchten. Nun zu Ihrer Frage. Ich bin sogar im selben Monat wie Kopernikus zur Welt gekommen und hätte vielleicht auch, wären meine Eltern in Polen geblieben, an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń studiert. Aber das wäre sicherlich keine ausreichenden Weichenstellungen in Richtung Astronomie gewesen. Zudem ist Kopernikus zwar für seine Einsichten in der Astronomie berühmt geworden, doch er war, wie seinerzeit vielleicht üblicher oder möglicher als heute, eher ein Universalgelehrter, zu dessen Kenntnissen natürlich auch die Medizin gehörte.
DFG: Natürlich Medizin: Sie haben ein herausragendes Abitur gemacht und Ihr Vater ist Arzt. Hätten Sie nicht auch einen anderen Weg einschlagen können?
AM: Selbst ohne Kontrollgruppe würde ich für mich behaupten wollen: Das Leben bleibt interessanter, wenn Sie sich ein paar ungelöste Konflikte bewahren. Einer davon ist sicherlich meine Entscheidung für die Medizin und damit gegen die Künste, die Schriftstellerei, Malerei und die Bühnen, die ich gleichsam in mein kleines Reich der Hobbys verfügt habe. Warum klein? Na ja, wenn Sie als Ärztin arbeiten wollen, gleichzeitig das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Aufklärung der Fragen verspüren, die Ihnen in der Praxis begegnen, und der Tag hat weiterhin nur 24 Stunden, dann fehlt Ihnen schlicht die Zeit, Ihren Hobbys die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie vielleicht verdienten.
DFG: Das war doch vor Ihrer jetzigen Doppelkarriere als forschende Neurologin sicherlich anders, selbst wenn da die Tage auch nur 24 Stunden hatten?
AM: Ja, sicherlich, da gibt es Phasen. Die allererste hat sich in meinem Grundschul-Poesiealbum verewigt: „Wenn ich groß bin…“ stand da, und ich malte in Schönschrift daneben „habe ich einen Bauernhof mit Forschungslabor im Keller“. Insofern waren die Weichen in Richtung einer Kombination aus „was Nützlichem“ und „Forschung“ schon sehr früh gestellt. Bevor ich aber jetzt Ärger mit der medizinischen Profession und der Forschung bekomme, lassen Sie mich nachschieben, dass in meinen Kinderaugen ein Arzt oder eine Ärztin vor allem nützlich war und ein Labor durchaus ein Stockwerk unterhalb einer Bauernküche angesiedelt sein konnte. Meine Kinderaugen konnten aber auch leuchten, wenn ich bei Besuchen in Polen von meiner Großmutter väterlicherseits mit zu Proben für Bühnenproduktionen genommen wurde. Sie war eine der bekannteren Schauspielerinnen in Toruń und mochte es sehr, mich mit ein wenig Bühnenzauber zu faszinieren. Klar, das zwingt einen fast schon in die schulische Theater AG und während des Studiums war ich auch Teil der Kabarett-Truppe der Charité.
Meinen journalistischen Neigungen bin ich als Organisatorin einer Schülerzeitung während der Gymnasialzeit nachgegangen. Aber ehrlich gesagt wäre ich für diesen Beruf in seiner investigativen Ausprägung viel zu nett und könnte mir für mich nicht vorstellen, nach Schmutz unter Teppichen zu suchen und mir dabei noch von denen helfen zu lassen, die den Schmutz unter den Teppich gekehrt haben. Meinen investigativen Impulsen gehe ich doch lieber in der Forschung nach. Da bliebe dann noch die Musik und ja, nach sieben Jahren Klavierunterricht kam ich durch den ersten Satz der Mondscheinsonate fast ohne Stolpern und hatte auch nach etwa gleichlanger Bekanntschaft mit der Querflöte noch Freunde. Doch als Musikerin könnte ich die Welt wohl nicht verbessern. Das Singen habe ich mir allerdings immer erhalten und es hat mir hier in Davis per Uni-Chor und Kammer-Chor der Hochschule sehr schöne soziale Kontakte beschert.
DFG: Dann erzählen Sie doch, wie nach dem Ausschluss möglicher Alternativen Ihr Weg in die Medizin ausgesehen hat.
AM: Gerne, das ist aber vor allem eine Geschichte starker Frauen in meinem Leben, meinen – ich hoffe, das jetzt auch ordnungsgemäß zu gendern – Vorbilderinnen. Im Hinblick auf „Alles Mögliche“ ging das, wie erwähnt, schon sehr früh los, im Hinblick auf Medizin wahrscheinlich mit meiner Biologie-Lehrerin am Gymnasium an der Gartenstraße in Mönchengladbach. Wobine Crisp hatte eine strahlend rote Mähne und eine faszinierende Begeisterung für Spinnen. Sie motivierte mich zu einer Teilnahme an der Bio-Olympiade, bei der ich dann in der NRW-Landesausscheidung so gut abschnitt, dass ich zu einem Auswahlseminar eingeladen wurde. Dort durfte ich dann meine erste Polymerase-Kettenreaktion pipettieren und wähnte mich schon fast in meinem erträumten Keller-Labor. Frau Crisp schlug mich auch bei Zonta International für den „Young Women in Public Affairs Award“ vor, den ich dann tatsächlich gewann.
Während meiner Doktorarbeit war meine Betreuerin Dr. Helena Radbruch gleichermaßen Inspiration und Hilfe. Sie ist einer der klügsten Köpfe, denen ich je begegnet bin. Sie versteht es meisterhaft, Klinik, Wissenschaft und Familie so miteinander auszutarieren, dass keine Unwuchten entstehen. Sie brachte mir zudem bei, wie sich die politischen und persönlichen Stromschnellen einer Universität navigieren lassen, wenn man die Ruder Bescheidenheit, Integrität, Großmut, aber eben auch Selbstbewusstsein geschickt einzusetzen weiß. Sie hat mich phänomenal betreut. Die Qualität und die Auszeichnungen meiner Promotion habe ich vor allem ihr und meinen ebenso brillanten Mitbetreuerinnen Prof. Raluca Niesner und Prof. Anja Hauser zu verdanken. In meiner Klinikzeit war und ist es dann Privatdozentin Dr. Katrin Hahn, die effizient und organisiert immer den Nagel auf den Kopf trifft, den nächsten Schritt vor Augen hat und stets bereit ist, ihre Zeit zu teilen, so knapp sie immer sein mag, und ihre Ratschläge und ihr Wissen, das alles andere als knapp bemessen ist.
DFG: Reine Frauensache?
AM: Nein, natürlich nicht, aber es ist doch unnötig, dass ich mich hier um das Wachstum der Geweihe der zahlreichen Zwölf- bis Sechszehnender der Szene verdient mache. Das funktioniert prima ohne mein Zutun. Ich möchte aber an dieser Stelle gerne meinen Vater hervorheben, vielleicht auch weil er meine These beständig unterläuft, man könne als gute Medizinerin Hobbys nicht ernsthaft pflegen. Ich bin extrem stolz darauf, dass er einerseits ein großartiger Arzt ist und mir regelmäßig für kleine Brainstormings zu seinen neuropädiatrischen Fällen zur Verfügung steht, bei denen ich sehe, wieviel Arbeit und Mitgefühl er in jeden einzelnen Patienten steckt. Andererseits steht er an Wochenenden mit seiner Band in kleinen Konzerthallen und Kneipen auf der Bühne und gibt an den Keyboards den „Rock-Doc“.
Überhaupt bin ich sehr stolz auf meine Eltern. Sie sind, bevor der Eiserne Vorhang fiel, in einer Nacht- und Nebelaktion aus Polen geflohen, ohne Verwandten oder Bekannten davon etwas zu sagen. Man wollte nicht mehr in einem repressiven politischen System leben, wollte eigentlich nach Frankreich, ist dann aber in Mönchengladbach hängen geblieben. Sie hatten nichts, nur eine dünne Reisetasche und ihre zweijährige Tochter. Im Auffanglager hat man ihnen eine Wolldecke, ein paar Kochtöpfe und hundert Mark in die Hand gedrückt. Das Geld wurde ihnen in der ersten Nacht direkt gestohlen. Aber mein Vater war damals schon mit der Arztausbildung in Polen fertig und wurde sehr leicht in das deutsche Gesundheitssystem eingebunden, und meine Mutter, die nicht weiter ihren Beruf als Lehrerin ausführen konnte, fand ihre neue Berufung als Schriftstellerin. Sie bauten sich und mir ein neues Leben auf und ermöglichten mir, mich auszuprobieren und die Welt kennen zu lernen. Wir sind sehr viel gereist. Später habe ich dann jede Gelegenheit genutzt, für Praktika ins Ausland zu gehen. Vielleicht ist es nur die natürliche Folge dieses Reisedranges, dass ich jetzt seit mehr als zwei Jahren hier in den USA bin.
DFG: „Hier in den USA“ meint Davis in Kalifornien?
AM: Ja genau, das ist die landwirtschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Abteilung des international viel bekannteren Berkeley-Campus der University of California (UC). Hier, eine gute Autostunde östlich von Berkeley, laufen die Kühe rum, die dort vermutlich nur stören würden. Wir haben hier auch eines der ältesten brauereiwissenschaftlichen Institute in den USA und ein Department for Viticulture and Enology „second to none“. Wenngleich es meinem Poesiealbum-Bild von Bauernhof und Forschung sehr nahekommt, sind das nicht die Gründe, warum ich hierhergekommen bin.
DFG: Ja, das stand auch anders in Ihrem Antrag auf ein Forschungsstipendium.
AM: Im Antrag geht es um die Aufklärung bestimmter Signal- und regulatorischer Funktionen bei entzündlichen Prozessen im Muskelgewebe und vor allem bei Muskelschwund. Dazu ist die Gruppe von Prof. Keith Baar international sehr prominent ausgewiesen und er arbeitet eng mit Prof. Craig McDonald zusammen, dem Direktor der Neuromuscular Disease Clinic (NDC) der UC Davis. Mit Professor Baar hatte ich mich bereits im Sommer 2016, also noch vor Abschluss meiner Promotion, im Rahmen der MyoGrad Summer School for Muscle Scientists Max Delbrück Center for Molecular Medicine in Berlin austauschen können. Er bot mir dann später eine Postdoc-Stelle in seinem Labor an, das für mich nicht zuletzt auch wegen der Einbindung in die NDC ein ideales Arbeitsumfeld bietet.
DFG: Was machen Sie derzeit?
AM: Ich habe gerade zwei Hauptprojekte. Das eine beschäftigt sich mit dem Problem, dass Muskeln schwächer werden, wenn sie altern. Der Prozess, wie das passiert, ist nicht gut verstanden, auch wenn er von jedem Menschen jenseits der Dreißig auf einer Erfahrungsebene nachvollzogen werden kann. Der Verlust der Muskelmasse – Sarkopenie genannt – und der Verlust der Muskelkraft – wir nennen es Dynapenie – korrelieren stark mit Lebenserwartung und Selbstständigkeit im Alter. Survival of the fittest, ganz buchstäblich. Ich habe die Hypothese aufgestellt, dass Muskelalterung maßgeblich von einem bestimmten entzündlichen Signalweg beeinflusst wird und dass dieser im Alter gewissermaßen entgleist. Ich erforsche den Einfluss dieses Signalwegs auf den Muskel, indem ich in jungen Mäusen den „alten“ Signalweg und in alten Mäusen den „jungen“ Signalweg auslöse.
Während sich mein erstes Projekt mit einem Thema beschäftigt, das praktisch jeden Menschen betrifft, begann mein zweites Projekt sehr speziell mit einem einzigen Mann. Mit 35 Jahren wurde bei diesem Mann eine seltene, unheilbare genetische Muskelkrankheit diagnostiziert – eine Desminopathie. Wohlwissend, dass es für ihn vermutlich zu spät sein würde, aber um seinen Kindern und zukünftigen Enkeln eine bessere Chance auf eine Therapie zu geben, klopfte er bei Universitäten und Arbeitsgruppen an, um auf seine Erkrankung aufmerksam zu machen. Wir stellten fest, dass seine Krankheit vermutlich gar nicht so selten ist, wie gedacht, sondern nur viel zu selten entdeckt wird, und außerdem, dass man aus den Mechanismen dieser Erkrankung viel über andere Krankheiten lernen kann. Es gibt da erstaunliche Überlappungen zu Krankheiten wie etwa Alzheimer, der amyotrophen Lateralsklerose, aber auch zu Schlaganfall und Diabetes. Wir haben mithilfe der CRISPR-Cas9-Technologie Ratten entwickelt, die diese Mutation tragen und vererben, und können so die Krankheit in allen ihren Entwicklungsstufen und allen Situationen unter die Lupe nehmen. So hoffen wir, eine Therapie zu finden, die in Zukunft an Desminopathie erkrankten Menschen helfen kann.
DFG: Lassen Sie uns aber noch mal einen Schritt zurückgehen. Sie haben an der Charité in einer Art Reformstudiengang Medizin studiert. Was hatte Sie dazu bewogen?
AM: Die Idee des Reformstudiengangs an der Charité hat mich so sehr überzeugt, dass ich, als ich mich seinerzeit bei der ZVS für einen Studienplatz bewarb, gar keine anderen Studienorte in meiner Wunschliste angab – so alternativlos war das für mich. Ich hatte Glück und wurde genommen. Warum wollte ich da unbedingt hin? Reform wurde und wird in der Medizin nicht selten belächelt, weckt offenbar Assoziationen mit Haferkeksen und Karottensticks und löst Ängste aus, dass da keine „echten Ärzte“, sondern stattdessen „Barfußmediziner“ ausgebildet werden. Das Modell ist in Wirklichkeit wissenschaftlich und modern und ist an einem Ansatz orientiert, der an der kanadischen McMaster University seit den späten 1960er Jahren praktiziert und ständig auch weiterentwickelt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei kleine Gruppen und ein um Fälle von Patienten herum entwickeltes Curriculum, so genanntes „Problem-based learning“ oder auf Deutsch „Problemorientiertes Lernen“. Das erhöht deutlich die Retentionsrate und das Verständnis. Sie merken sich also die vermittelten Stoffe viel besser, wenn sie in direkterem Bezug zur Diagnose und Therapie des Patienten stehen. Ansonsten lernen Sie riesige Datenmengen für Physikum oder Staatsexamen, spucken sie dann wieder aus und nur wenig bleibt hängen. Da gibt es diesen alten Witz mit dem Telefonbuch, das verschiedenen Menschentypen zum Auswendiglernen gegeben wird, und der Medizinstudent fragt nur: „Bis wann?“ Der Reformstudiengang wollte weg vom Telefonbuch und plumpen Auswendiglernen. Gleichzeitig schrieb er sich auf die Fahne, wissenschaftliches Denken und empathisches Handeln zu fördern – diese Fahne hielt ich gerne hoch. Letztendlich beteiligte ich mich intensiv an der Entwicklung des Modellstudiengangs Medizin, in den seit 2010 alle Studierenden an der Charité immatrikuliert werden. Und jetzt, auf der anderen Seite des Examens, macht mir Lehre immer noch sehr viel Spaß.
DFG: Dann haben Sie noch Design Thinking studiert?
AM: An der D-School des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, genau. Ich hoffe, Sie wollen nicht, dass ich Design Thinking erkläre – das ist notorisch schwierig und ein klassischer Fall von „da muss man dabei gewesen sein“. Im Grunde ist es eine Technik zum Problemlösen, in der schon das Problem hinterfragt wird und der Anwender im Vordergrund steht. Aber es mag durchaus sein, dass Vieles von dem, was sich hinter dem Ansatz des Design Thinking verbirgt, bereits in anderen Techniken zur Lösung von Problemen zum Tragen kommt, also etwa im Problem-based learning, wie wir aus dem Reform- und Modellstudiengang kennen. Wir haben das dann auch direkt zusammengeführt und an der Berlin-Brandenburg School for Regenerative Therapies zu BioThinking umgemodelt. Und bevor Sie schmunzelnd mit den Augen rollen – es funktioniert, dem hippen Namen zum Trotz.
DFG: Sie scheinen in Hinblick auf die Medizinerausbildung in Deutschland ein gewisses Sendungsbewusstsein zu haben, oder? Wie wollen Sie da agieren?
AM: Die Frage ist eher, an welcher Stelle ich agieren möchte. Wenn Sie den Kurs von einem Supertanker oder auch nur von einem kleinen Schiff ändern wollen, dann gehen Sie am besten an das Steuerrad.
DFG: Und der Weg an das Steuerrad...
AM: ... führt über die Habilitation. Anders geht das in der Medizin in Deutschland derzeit noch nicht. Ich werde im Dezember zurück nach Berlin an die Charité gehen, um dort im Rahmen des Clinician Scientist Programms meine Facharztausbildung als Neurologin zu Ende zu bringen und alles, was ich wissenschaftlich in den USA gelernt habe, nach Hause zu bringen und dort auszubauen. Bevor ich mich an irgendwelchen Steuerrädern zu schaffen mache, möchte ich noch eine ganze Weile als Ärztin und Forscherin arbeiten, wenn möglich in Berlin.
DFG: Ist Berlin gleich nach Kalifornien nicht zu harte Kost?
AM: Nicht umsonst heißt es in der inoffiziellen Hymne der Stadt „im Winter tut’s weh“… Während man in Kalifornien das ganze Jahr über Kolibris im Garten beobachten kann, die Sonne auf dem Radweg ins Labor genießt und an den Wochenenden ohne Weiteres in die Berge ausfliegen kann, wird es in Berlin wohl noch einige Monate dauern, bis die grauen Tage vergehen. Ich mache mir aber keine Sorgen, diese Tage gut füllen zu können.
DFG: Wenn Sie weitgehend auf Berge und Kolibris verzichten müssen, was treibt Sie denn als Ärztin und Forscherin dabei an?
AM: An der Kombination? Eine wissenschaftliche Denkweise erhält sich für mich als Ärztin insoweit fast automatisch, weil viele der Dinge, die einem in der Klinik begegnen, in ihren Grundlagen noch nicht geklärt sind. Vor allem bei seltenen Erkrankungen kann diesbezüglich die Frustration hoch sein und da tröstet einen gewissermaßen die Aussicht auf Erkenntnis durch wissenschaftliche Forschung. Wenn ich einem Patienten die Diagnose einer unheilbaren Krankheit mitteile, kann ich besser damit umgehen, wenn ich mich im kollektiven „wir“ wiederfinde, das der Diagnose hinzufügt: „aber wir arbeiten daran.“
DFG: Themenwechsel: Sie führten in Ihrem Beitrag im Science Slam bei der jüngsten Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) in ihr Fachgebiet seltener Muskelerkrankungen zum Vergleich der Häufigkeit einige Statistiken an, etwa, wie viele Menschen nachts mit einem Stofftier im Bett einschlafen. Die Zahl war erstaunlich hoch und hat Ihnen sicherlich die Aufmerksamkeit des Publikums gesichert. War das nur ein Trick zu diesem Zweck oder ist die Zahl tatsächlich mal ermittelt worden?
AM: Schön, dass es funktioniert hat, und nein, ich habe mir das nicht ausgedacht. Im Internet kursieren Umfragezahlen von 34 % aller Erwachsenen, die ein Stofftier mit ins Bett nehmen, und wenn Sie mal Pflegepersonal in Krankenhäusern befragen, würden die Ihnen das auch bestätigen, vielleicht nicht in einem Ausmaß von 34 %, aber in deutlich größerem Umfang, als Sie sich das vorstellen. Ich gehe mal davon aus, dass Sie persönlich keine Stofftiere mit ins Bett nehmen.
DFG: Nein, aber es hängt ein Wimpel meiner liebsten Fußballmannschaft über dem Bett, was zu meiner letzten Frage überleitet: Borussia Mönchengladbach verliert am zweiten Spieltag der neuen Saison 1:2 gegen Union Berlin. Wie gehen Sie damit um?
AM: Auch wenn ich in meinem Muskellabor hier umgeben bin von Sportfans und auf dem Laborrechner nicht selten die Liveübertragung der Champions League läuft, muss ich Ihnen gestehen, dass meine Faszination für Muskeln eher akademischer Natur ist – Sport ist, wie man sagt, „nicht so meins“. Wenn Sie mich festnageln wollen, sage ich: Gladbach über Union, Union über Hertha BSC. Bei großen Spielen kann ich aber auch richtig mitfiebern.
DFG: Lieben Dank für das sehr informative und unterhaltsame Gespräch. Wir wünschen Ihnen für Ihre berufliche Zukunft viel Erfolg, Zielstrebigkeit auf dem Weg zum Steuerrad und im Umgang mit ihm alles Gute.