(28.06.21) In der Reihe „Transatlantic Tandem Talks“ (TTT) des New Yorker Verbindungsbüros der Universität zu Köln diskutierten am 23. Juni in einer online durchgeführten Veranstaltung Joris Lammers vom DFG-geförderten Excellenzcluster „ECONtribute“ und Matt Baldwin von der University of Florida die in Politik wie Werbung gleichermaßen anwendbaren Auswirkungen der Einsicht, dass Menschen sich häufiger von ihrem Bauchgefühl leiten lassen, als es Anhängern rationaler Aufklärung eigentlich lieb sein dürfte. Die TTT-Serie findet anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Nordamerika-Büros der Uni Köln in New York statt.
Zu Beginn des gemeinsam mit dem Nordamerikabüro der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) New York durchgeführten Talks zum Thema “Feelings Over Facts: A New Look At Language and Political Psychology” präsentierten Lammers und Baldwin einige Ergebnisse von gemeinsam in Köln ausgewerteten Untersuchungen, die deutlich machten, dass es eine auffällige Korrelation zwischen politischen Einstellungen in den USA und der Intensität von Nostalgie als Sentiment gibt. So deckte sich die USA-Karte politischer Orientierung (konservativ vs. liberal) auffällig gut mit einer USA-Karte, die anhand der Auswertung von Google-Suchanfragen erstellt wurde und deren Unterscheidungskriterium war, ob der Informationssuchende eher in der Vergangenheit stöberte oder eher in der Zukunft. Der daraus abgeleitete Schluss, dass bei Konservativen Nostalgie als Sentiment stärker das Denken bestimme als bei Progressiven, war dann allerdings eher zu erwarten als die Schlussfolgerung, entsprechend progressive Ideen auch als auf „die gute alte Zeit“ gerichtet verpacken zu können, um sie Konservativen schmackhaft zu machen.
Die dann präsentierte erste Fallstudie überraschte entsprechend: Formulierte man die liberale Forderung nach stärkerer Kontrolle von Schusswaffen in den USA so um, dass in der guten alten Zeit nur das Militär Schnellfeuergewehre zur Verfügung hatte, verschwand die ansonsten bei dieser Frage auffällige Kluft zwischen Demokraten und Republikaner fast vollständig. Ein ebenfalls überraschendes Beispiel, wie die lebhafte Chat-Diskussion der mehr als 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigte, war die über ein nostalgisches Element vorgebrachte und eigentlich liberale Forderung nach mehr Diversität in der US-amerikanischen Gesellschaft. Wurde dieser Forderung mit Hilfe eines Covers der Comic-Serie Superman aus den späten 1940er Jahren Nachdruck verliehen, auf dem der Serienheld für Diversität als eine ur-amerikanische Qualität warb, schrumpfte der diesbezügliche Graben zwischen Liberalen und Konservativen um stolze 83 %.
Im Interesse einer gedeihlichen politischen Debatte empfahlen die beiden Referenten daher, künftig Emotionen stärker als Mittel zu nutzen, um die derzeit nicht nur in den USA tiefen Gräben zu überwinden, indem man mehr an die Werte der jeweils Anderen appelliert, persönliche Erfahrungen des Gegenübers respektiert und eben auch über die eigenen persönlichen Erfahrungen und daraus folgenden Gefühle spricht. Ein knappes halbes Jahr nach Amtsantritt der neuen US-Regierung – das zeigte auch das sehr lebhafte Interesse an der Veranstaltung – hatten die Organisatoren mit dem Thema den Nerv der Zeit gut getroffen.