"Wir erleben eine vorher kaum dagewesene Vielfalt der Wissenschaftskommunikation"

Forschungsergebnisse und wissenschaftliches Arbeiten einem breiten Publikum näherbringen und den Austausch zwischen Forscher*innen und Bürger*innen stärken – das alles kann gute Wissenschaftskommunikation leisten, besonders wenn sie innovativ ist und kreative Formen annimmt. Im Falle des Communicator-Preisträgers Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert trifft all das zu. Für seine vielfältigen Kommunikationsprojekte erhielt der Mathematiker 2021 den mit 50.000 Euro dotierten Preis von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband. Mit seinem Engagement macht er die Schönheit der Mathematik für Menschen jeglichen Alters durch unterschiedliche Medienformate, Performances, Spiele und Apps erlebbar.

Auch 2023 wird der Communicator-Preis verliehen. Im Interview reflektiert Jürgen Richter-Gebert, was der Preis für seine Arbeit bedeutet und warum Ehrlichkeit für ihn ein wichtiges Element in der Wissenschaftskommunikation ist.

Communicator-Preisträger 2021, Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert

Communicator-Preisträger 2021, Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert

© DFG/Sterntaucher

Warum sind Sie in der Wissenschaftskommunikation aktiv?

Neben den vielen Gründen, die es auf der persönlichen Seite gibt, wie das bereichernde Erlebnis mit Menschen zu kommunizieren oder etwas zur Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft beizutragen, gibt es auch Gründe, die rein wissenschaftlich sind: Dinge gut vermitteln zu können, bedeutet sie besonders gut verstanden zu haben! Komplexe Sachverhalte an eine Zielgruppe weiterzugeben, die per se nicht wissenschaftsaffin ist, heißt, sich selbst Gedanken über Motivationen und Gründe zu machen, Zusammenhänge neu zu ordnen und in verständliche Schritte zu zerlegen, sich über jeden einzelnen Deduktionsschritt klar zu werden und dieselbe Sache aus vielen Blickwinkeln zu sehen.

Wo bemerken Sie das in Ihrer Arbeit?

Oftmals gehe ich, nachdem ich ein bestimmtes Thema in den Mittelpunkt einer öffentlichen Präsentation gesetzt habe aus dem Prozess wesentlich "klüger" heraus, als ich hineingegangen bin. Das bezieht sich nicht nur auf Vorträge, sondern auch auf das Erstellen von Ausstellungen, das Schreiben von Software für die Öffentlichkeit oder das Produzieren von Videos.

Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert hat die App "iOrnament" entwickelt, mit der sich mathematische Symmetrien visualisieren lassen.

Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert hat die App "iOrnament" entwickelt, mit der sich mathematische Symmetrien visualisieren lassen.

© DFG/Sterntaucher

Was macht gute Wissenschaftskommunikation für Sie aus?

Ich möchte das in vier Begriffe zusammenfassen: Augenhöhe, Engagement, Vielfalt, Ehrlichkeit.

Augenhöhe bedeutet, Wissenschaft nicht "von oben herab zu vermitteln", sondern in einen Dialog zu treten, der das Gegenüber als Person und denkendes Wesen ernst nimmt, unabhängig vom Alter. Sich selbst auch im Prozess des Suchens nach Erkenntnis nahbar zu machen und den eigenen Weg dahin zu thematisieren. Meiner Erfahrung nach macht das beiden Seiten Freude.

Engagement und Vielfalt gehen für mich Hand in Hand. Die bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Formaten, gehört hier ebenso dazu wie das beharrliche Suchen nach geeigneten Herangehensweisen und Blickwinkeln. Wie in der Wissenschaft ist man auch in der Wissenschaftskommunikation nie fertig. Oft ist ein Format der Initialschuss für ein Weiteres.

Zu Ehrlichkeit schließlich gehört für mich der vielzitierte Satz: "Man soll Dinge so einfach erklären, wie möglich, aber nicht einfacher!". Fachliche Korrektheit verlangt eine Verpflichtung gegenüber der Sache. Dass manche Dinge eine gewisse inhaltliche Komplexität haben, ist eine wichtige Message, die Wissenschaftskommunikation vermitteln muss.

Mit seinem Team macht der Mathematiker Mathematik erfahrbar auf dem Campus der TU München.

Mit seinem Team macht der Mathematiker Mathematik erfahrbar auf dem Campus der TU München.

© DFG/Sterntaucher

Was bedeutet der Communicator-Preis für Sie?

Zunächst einmal bedeutet der Communicator-Preis natürlich eine unglaubliche Anerkennung. Ich fühle mich außerordentlich geehrt und wertgeschätzt und freue mich sehr darüber. Gleichzeitig bewirkt der Preis, dass ich das, was ich tue, um Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu bringen, mit etwas mehr Bewusstheit betreibe. Ebenso wie gute Lehre steht leider auch die Wissenschaftskommunikation oft nicht im Fokus unserer Tätigkeiten und Leistungsskalen. Umso erfreulicher ist es, dass durch Preise wie den Communicator-Preis auf die Wichtigkeit der Wissenschaftskommunikation aufmerksam gemacht wird. Es freut mich jedes Mal, wenn auch andere Kollegen, Wissenschaftskommunikation als integralen Teil unserer Tätigkeit als Wissenschaftler betrachten.

Wie sieht die Wissenschaftskommunikation der Zukunft aus?

Ich darf mal optimistisch sein: Digitaler und gleichzeitig menschlicher. Wir kommen zunehmend in ein Zeitalter, das man als "post-digital" bezeichnen kann. In diesem Zeitalter sind digitale Medien so stark zur Selbstverständlichkeit geworden, dass sie in den Kommunikationsfluss auf fast natürliche Weise eingebettet sind. Dies ermöglicht es, den Fokus von der technischen Umsetzung mehr und mehr auf die Nuancen der Kommunikation zu verlegen und dabei trotzdem die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung zu nutzen. Wir erleben im Moment eine vorher kaum dagewesene Vielfalt an Wissenschaftskommunikationsformen. Vom gelegentlichen Science-Blogger über die YouTube-Filmerin hin zu offenen Kommunikationsforen mit wissenschaftlichen Themen. Dadurch kann Wissenschaftskommunikation sowohl partizipatorischer als auch diverser und vielfältiger werden. Darauf freue ich mich.

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