Deutsch-mexikanisches Forschungsprojekt untersucht Phänomen hängender Tropfsteine in Glockenform

Anlässlich des Internationalen Tages der Umwelt stellen wir ein außergewöhnliches Phänomen vor, das derzeit gemeinsam von deutschen und mexikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den überfluteten Höhlensystemen der Halbinsel Yucatán erforscht wird.

(17.06.19) Der Weltumwelttag, der 1972 von den Vereinten Nationen (UNO) eingeführt wurde, wird jedes Jahr am 5. Juni begangen und soll die Gesellschaft auf Umweltprobleme, die Bedeutung des Umweltschutzes und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen aufmerksam machen.

Die hängenden Strukturen wachsen in einer lichtlosen Umgebung in 36 Meter Tiefe

Die hängenden Strukturen wachsen in einer lichtlosen Umgebung in 36 Meter Tiefe

© Hells Bells Project

In Mexiko bemüht man sich zum Beispiel um die Erhaltung der sogenannten Cenoten oder Einsturzdolinen. Dabei handelt es sich um ursprünglich unterirdische Grundwasserreservoire, die durch den Einsturz der Höhlendecke aus Kalkstein von der Erdoberfläche aus zugänglich sind. Auf der Halbinsel Yucatán – einer der wenigen süßwasserreichen Regionen Mexikos – gibt es mehr als 10 000 Cenoten, die jahrhundertelang zur Wasserversorgung menschlicher Siedlungen dienten.

Schon die Maya nutzten sie als Wasserquelle und schrieben ihnen – als Eingänge zur Unterwelt – auch eine spirituelle Bedeutung zu. Zahlreiche archäologische Funde stammen aus diesen gefluteten Höhlensystemen, unter anderem Artefakte für religiöse Rituale und das Najaron-Skelett, eines der ältesten menschlichen Skelette, das auf dem amerikanischen Kontinent gefunden wurde.

Allerdings stellen das Bevölkerungswachstum, die Umweltverschmutzung und die unsachgemäße Bewirtschaftung der Cenoten nicht nur eine Gefahr für deren Ökosysteme und natürliche Ressourcen dar, sondern bedrohen auch das dort gelagerte, umfassende archäologische und paläontologische Erbe. Ihre Erhaltung ist daher auch aus wissenschaftlicher Sicht von grundlegender Bedeutung, denn die Cenoten sind natürliche und geheimnisvolle Laboratorien, die wertvolles Wissen über die Vergangenheit bergen.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Forschung mit einer außergewöhnlichen geologischen Formation, die in den gefluteten Höhlensystemen der Halbinsel Yucatán entdeckt wurde. Dort wird dieses Phänomen auch „Glocken der Unterwelt“ genannt. Es handelt sich dabei um stalaktitähnliche, hängende Speläotheme, die durch ihre ungewöhnliche Kegelform auffallen. Einige sind bis zu einem Meter lang und besitzen einen Durchmesser von 80 Zentimetern.

Die Entstehung dieser Formationen, die in Unterwasserhöhlen des berühmten Zapote-Cenotes und in anderen überfluteten Höhlen westlich der Stadt Puerto Morelos entdeckt wurden, gibt den Forscherinnen und Forschern Rätsel auf.

In der Regel entstehen hängende Tropfsteine durch physikalisch-chemische Prozesse aus der Abscheidung und Verfestigung von Karbonaten, wobei hängende Tropfsteine oder Stalaktiten üblicherweise spitz nach unten zu laufen. Die Speläotheme in El Zapote sind jedoch in Form und Größe einzigartig: Sie dehnen sich zapfenförmig nach unten hin aus, sind innen hohl und besitzen einen rundlich-elliptischen Querschnitt, wodurch sie tatsächlich Glocken ähneln.

Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, untersuchen Forscherinnen und Forscher aus Deutschland und Mexiko dieses Phänomen im Rahmen eines gemeinsamen Projekts. Die Initiative wird seit 2007 von der DFG und ihrer mexikanischen Partnerorganisation CONACYT gefördert; beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Heidelberg, des Karlsruher Naturkundemuseums und des Museo del Desierto in Saltillo.

Die Forschung basiert auf der Hypothese, dass diese Besonderheit auf die Ablagerung von Kalziumkarbonat durch mikrobiologische Aktivitäten zurückzuführen ist. Die hängenden Strukturen wachsen in einer lichtlosen Umgebung in 36 Meter Tiefe. Ganz in der Nähe befindet sich ein Süßwasserreservoir, das sich direkt über einer giftigen, sauerstoffarmen Salzwasserzone befindet, die reich an Schwefelwasserstoff ist.

Es wurden Proben gesammelt und von Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck, dem deutschen Projektkoordinator, an die Labore der Universität Heidelberg geschickt. Die Datierung ergab, dass die älteste Schicht der Speläotheme 4500 Jahre und die jüngste 300 Jahre alt ist, was darauf schließen lässt, dass diese Formationen in den letzten 10 000 Jahren bis heute entstanden sein müssen.

Vor 10 000 Jahren lag der Meeresspiegel 100 Meter unter dem aktuellen Niveau und die Höhlen und Cenoten der Halbinsel Yucatán waren noch nicht mit Wasser geflutet. Mit dem weltweiten Temperaturanstieg vor etwa 4500 Jahren schmolz jedoch das Eis in den kalten Zonen der Erde, was zu einem auf heutigem Niveau erhöhten Wasserspiegel und zur Überflutung der tiefer liegenden Höhlenbereiche führte – ein Beweis dafür, dass die „Glocken der Unterwelt“ vollständig unter Wasser gewachsen sind, was für Speläotheme einzigartig ist.

Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Entstehung dieser Formationen und den besonderen hydrologischen und biochemischen Bedingungen der Umgebung besteht. Dabei handelt es sich um eine Übergangszone zwischen Wasserschichten unterschiedlichen Salzgehalts, die als Halokline bezeichnet wird.

Untersuchungen zufolge absorbieren die in diesem Bereich vorhandenen Bakterien zur Erfüllung ihrer Lebensfunktionen das Kohlendioxid aus dem Wasser und verringern dadurch dessen Säuregehalt. Dadurch werden weniger gelöste Mineralien zurückgehalten, und es entsteht eine Mikroumgebung, die zur Ausfällung der gelösten Mineralien führt, wodurch sich letztlich Schicht für Schicht die Glocken bilden.

„Wenn unsere Interpretation richtig ist und das Wachstum der Glocken durch die besondere Wasserzone – die Halokline – bestimmt wird, haben wir damit möglicherweise ein neues Instrument in der Hand, um die Entwicklung der Tiefe dieser Schicht im Laufe der Zeit zu messen. Dies kann uns Aufschluss über die Niederschlagsmengen auf der Halbinsel Yucatán geben“, erklärt Stinnesbeck.

„Wir werden damit ein besseres Verständnis der Klimaveränderungen während der Eiszeit erlangen, als die Ökosysteme in Nordamerika drastischen Veränderungen unterworfen waren“, ergänzt Dr. Arturo González, Kooperationspartner auf mexikanischer Seite. Er erläutert, dass das Projekt Teil einer größeren, bereits seit 1999 durchgeführten Studie ist, um mehr über die Ankunft der ersten Menschen in dieser Region und deren Rolle in Bezug auf das Aussterben von mehr als 70 Prozent der dort ursprünglich lebenden Säugetiere, wie beispielsweise Elefanten, Säbelzahntiger, Kamele und Faultiere, zu erfahren.

Stinnesbeck betont außerdem, dass die bilaterale Zusammenarbeit für die Durchführung des Forschungsprojekts von wesentlicher Bedeutung ist: „Unsere mexikanischen Partner haben uns den Ort gezeigt und waren uns dabei behilflich, Kontakte zu lokalen Tauchern herzustellen. Darüber hinaus haben sie die komplexe Infrastruktur bereitgestellt, die für die Probenahme in einer mehr als 50 Meter tiefen Unterwasserhöhle erforderlich ist, die teilweise aus einer giftigen, sulfidreichen Umgebung besteht. Im Gegenzug brachte sich das Heidelberger Team mit Laboreinrichtungen und fachlicher Expertise in den Bereichen Hydrogeochemie und Petrografie ein. Die Genomsequenzierung erfolgt durch das Karlsruher Institut für Technologie.“