Emmy Noether-Treffen 2021

Vernetzungstreffen vom 14. bis 16. Juli erstmals virtuell / Rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer / Wissenschaftspolitischer Abend beschäftigt sich mit Lehren aus der Pandemie und wie der Wissenschaftsbetrieb sich für die Zukunft aufstellen kann

Emmy Noether-Treffen 2021 zum ersten Mal rein virtuell: Aus einem Studio in Hamburg wurden Teile der Veranstaltung live gestreamt, dazu kamen viele digitale Interaktionsmöglichkeiten auf der Eventplattform.

© DFG/Kontrapunkt

Ein sanfter Gong ertönt. „Bitte kommen Sie ins Studio, in fünf Minuten geht es los!“ Wo ist das Studio nochmal? Den Gang runter und dann… Halt, Stopp! Es ist in der Navigationsleiste der dritte Button von oben! Klar, auch das Emmy Noether-Jahrestreffen 2021 war keine Präsenzveranstaltung – dieser Umstand wurde auch während der Tagung in vielen Gesprächen und Redebeiträgen angesprochen, denn die Sehnsucht nach echten Begegnungen, nach Austausch von Angesicht zu Angesicht ist groß. Immerhin: Das Emmy Noether-Treffen war nicht nur eine Videokonferenz oder ein Livestream, nein, eine multifunktionale Eventplattform bündelte solche Angebote mit virtuellen Räumen für Kleingruppenmeetings oder Sprechstunden, mit Schwarzem Brett, Fotobox und einer Networking-Plattform. Und von Zeit zu Zeit ertönten eben auch die eingangs erwähnten „Durchsagen“, die die insgesamt etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den einzelnen Sessions geleiteten.

Und so war das 19. Jahrestreffen der Emmy Noether-Geförderten und -Alumni zwar das erste rein virtuelle – die digitale Umsetzung aber wurde insgesamt als sehr gelungen wahrgenommen: „Emmy Noether Meeting by DFG happening virtually this year. How come the DFG has come up with such an amazing & professional platform and nobody else has? This is really cool!”, lautete etwa der Kommentar eines Teilnehmers.

Pandemie als „Paradebeispiel für die Komplexität von Forschungszusammenhängen“

Auch DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker, die selbst zum ersten Mal an einem Emmy Noether-Treffen teilnahm, wollte sich in ihrer Begrüßung „den Frohmut nicht davon eintrüben lassen, dass dieser Austausch nun eben nicht, wie gewohnt, im SeeHotel in Potsdam stattfinden kann“. Sie thematisierte in ihrem anschließenden Statement die Coronavirus-Pandemie als „ein ganz vielschichtiges Phänomen und ein Paradebeispiel für die Komplexität von Forschungszusammenhängen“:

„Die anfänglichen Stimmen aus der Medizin wurden schnell um mathematische Modellierungen erweitert, sukzessive traten Wortmeldungen der Ökonomie hinzu, rechtswissenschaftliche Einschätzungen zu den Grundrechten wurden vorgenommen und unterschiedlichste Fragen der Soziologie, Psychologie und Pädagogik tauchten auf und beschäftigen uns noch. Und längst hat sich auch die Strömungsforschung in Sachen Aerosolausbreitung eingebracht“, berichtete Becker nicht zuletzt auch aus der Arbeit der Pandemie-Kommission der DFG. Man könne daraus lernen, wie gesellschaftliche Herausforderungen ganz schnell in eine Vielzahl von Forschungsfragen und methodische Ansätze zerfielen, wie aber umgekehrt diese Differenzen dann auch zu einem immer besseren Verständnis des eigentlichen Phänomens beitrügen.

Becker zog auch Folgerungen für die Wissenschaftskommunikation und die Prozesse der Organisation wissenschaftlicher Expertisen: „Wir beobachten ja seit Pandemieausbruch die ungute Tendenz, einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oft sehr weitreichende Äußerungen zum Pandemiegeschehen abzuverlangen. Was dann meistens ziemlich schnell zu Korrekturen durch Kollegen oder Vertreterinnen anderer Disziplinen führt. So entstehen Verwirrung oder gar Vertrauensverluste“, beschrieb die DFG-Präsidentin die Situation Forschender in der Pandemie. „Für die Wissenschaft ist aber eine ganz zentrale Frage und Aufgabe, ja es ist unsere Verantwortung, die Vielstimmigkeit unserer Expertisen so zu bündeln, dass Unsicherheiten offen benannt werden, aber zugleich auf Gewissheiten verwiesen wird“, betonte Becker.

Mehr Reputation für Wissenschaftskommunikation

Auch der Wissenschaftspolitische Abend, seit jeher so etwas wie das inhaltliche Herzstück des Emmy Noether-Treffens, beschäftigte sich am 14. Juli mit den Auswirkungen der Pandemie auf den Wissenschaftsbetrieb und wagte zugleich Ausblicke in eine postpandemische Zukunft von Forschung und Lehre. Zunächst diskutierten die Podiumsgäste – neben Moderator Mirko Drotschmann waren das Professor Dr. Joachim Wirth, ein Experte für Lehr-Lernforschung von der Universität Bochum, Dr. Astrid Eichhorn, theoretische Physikerin an der University of Southern Denmark und Sprecherin der Jungen Akademie, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Mitglied des Bundestags und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie elektronisch zugeschaltet DFG-Präsidentin Katja Becker – wie Wissenschaftskommunikation während der Pandemie immer wichtiger und zeitintensiver wurde.

So hob Eichhorn zwar den „riesigen Vertrauensvorschuss“ hervor, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Bevölkerung in der Pandemie bekommen hätten, aber es liege nun an der Wissenschaft, „was sie daraus mache“. Wissenschaftliche Politikberatung und Wissenschaftskommunikation müssten noch ernster genommen werden – sowohl was die Wertschätzung, aber auch was die dahingehende Ausbildung angehe. DFG-Präsidentin Becker forderte mehr Reputation für Kommunikation in der Forschung und verwies auf ein Modul, das man im Rahmen aller DFG-Förderanträge mitbeantragen könne. Sie warnte jedoch vor dem „silencing effect“, der eintritt, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich nach Anfeindungen aus der Öffentlichkeit zurückziehen. „Das darf nicht passieren! Da ist es wichtig, den Kolleginnen und Kollegen auch professionell mit Rat und Tat zur Seite zu stehen“, sagte Becker.

Der langjährige Bundestagsabgeordnete der SPD, Ernst-Dieter Rossmann, riet zu Souveränität, die Wissenschaft genauso lernen müsse wie die Politik. Dazu gehöre, sich nicht gleich erschrecken zu lassen, nicht auf alles reagieren zu müssen, erst recht nicht bei einem kritischen Post oder einem Shitstorm. Wissenschaft erzeuge nun mal auch Unsicherheiten und innerhalb der Wissenschaft gebe es unterschiedliche Auffassungen – dies müsse in der Kommunikation souverän dargestellt werden. „Die Politik sollte die Wissenschaft darin verteidigen, dass sie Unsicherheiten produziert. Insofern haben wir eine gemeinsame erklärende Aufgabe“, so Rossmann.

Nicht zurück zum alten „Normal“

Doch auch wenn alle Podiumsgäste sich einig waren, dass Kommunikation für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – während der Coronavirus-Pandemie und darüber hinaus – eine wesentliche Aufgabe sein sollte, so gab es auch warnende Stimmen: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer noch eine Schippe drauflegen. Wenn man sich anschaut, wie die Karriere einer Professorin abläuft: Sie wird Postdoc, wird ausgebildet zu forschen und zu publizieren, macht Lehre, meist ohne darin eine professionelle Ausbildung zu haben. Sie erlangt die Professur, dann kommt die akademische Selbstverwaltung hinzu. Sie muss Prüfungsleistungen rechtssicher dokumentieren – und dann kommen am Ende noch Wissenschaftskommunikation und Third Mission. Dabei dürfen wir nicht vergessen, was die primäre Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist: Forschung und Lehre“, mahnte Professor Dr. Joachim Wirth.

Die Pandemie habe Probleme im Wissenschaftssystem ganz klar gezeigt, sagte Dr. Astrid Eichhorn und führte aus: „Befristete Verträge, Gendergerechtigkeit – die Pandemie gibt uns die Möglichkeit, klarer auf das System zu schauen. Wir sollten nicht zurückgehen zum alten ‚Normal‘, sondern ein besseres ‚Normal‘ finden. Auch um die Wissenschaft resilienter gegen kommende Krisen und Disruptionen zu machen.“ In der Pandemie seien schnelle Anpassungen im Wissenschaftssystem möglich gewesen – diese Schnelligkeit mahnte Eichhorn auch bei den anstehenden Herausforderungen an. „Ich würde mir wünschen, dass es zukünftig auch Laufbahnen in der Wissenschaft gibt, die auf Stellen führen, die hauptsächlich Wissenschaftskommunikation oder Politikberatung machen und eine frühere berufliche Sicherheit ermöglichen als die Professur. Wir sollten uns lösen von dieser traditionellen Idee, dass Wissenschaft immer auf eine Laufbahn als Forscherin zuläuft!“ Auch deutlich mehr Nachhaltigkeit und flachere Hierarchien seien wünschenswert.

„Ermöglichung zu außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen in jungen Jahren“

Nach dem positiven Ausblick, den der Wissenschaftspolitische Abend eröffnet hatte, konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Emmy Noether-Treffens sich auch am folgenden Tag in themenspezifischen Workshops, Online-Kaffeepausen und dem ein oder anderen spontan organisierten Breakout-Room miteinander über Zukunft und Gegenwart austauschen sowie ganz konkret über Karriereperspektiven und Förderprogramme informieren. Mehr als 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DFG und KoWi standen darüber hinaus für individuelle Beratungsgespräche zur Verfügung, hier wurden insgesamt mehr als 160 Gesprächstermine gebucht. Auch DFG-Generalsekretärin Dr. Heide Ahrens nahm zum ersten Mal an einem Emmy Noether-Treffen teil und berichtete ausführlich von aktuellen Themen, die die DFG derzeit beschäftigen – etwa das Thema Diversität in der Wissenschaft, die Einführung eines einheitlichen Lebenslauf-Templates für alle Antragstellenden in sämtlichen Programmen der DFG oder eine möglichst wirksame Karriereunterstützung. Im Anschluss nahm Ahrens sich viel Zeit, den Teilnehmenden Rede und Antwort zu stehen.

Den emotionalen Höhepunkt erlebte das Treffen dann am Abend des zweiten Tages mit der Verabschiedung von DFG-Vizepräsidentin Professorin Dr. Marlis Hochbruck, die sich während ihrer Amtszeit seit 2014 insbesondere der Förderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen gewidmet und auch regelmäßig an den Emmy Noether-Vernetzungstreffen teilgenommen hatte. Sie scheidet nun aus dem Präsidium der DFG aus.

„Es ist für mich eine besonders große Ehre, zum Ende dieses Emmy-Noether-Jahrestreffens sprechen zu dürfen und einige Worte des Abschieds zu formulieren“, sagte Hochbruck. „Um einen Abschied handelt es sich ja in einem doppelten Sinn: das diesjährige Jahrestreffen geht zu Ende und ebenso meine Amtszeit als Vizepräsidentin.“ Sie werde die jährlichen Treffen auch deshalb in so guter Erinnerung behalten, weil dort echte Vernetzung auch über Rollen hinweg möglich gewesen sei. „Letztendlich ist Nachwuchsförderung nicht nur die Generierung eines Raums zum Schutze von etwas, sondern damit untrennbar verbunden auch die Ermöglichung zu etwas: zu außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen in jungen Jahren“, so Hochbruck. Nicht nur wegen der großen Emotionen am Ende, sondern auch wegen der vielen virtuellen Begegnungen und des regen Interesses an den Sprechstunden war dieses Emmy Noether-Jahrestreffen, das erste digitale seiner Art, ein Erfolg.

Materialien und Präsentationen auf dem Emmy Noether-Treffen 2021