Für Sie Gelesen: “Silicon Valley’s New Obsession: Science Funding”

(01.03.22) Ein Bericht von Derek Thompson in der Atlantic Monthly, "Silicon Valley’s New Obsession: Science Funding", befasst sich mit jüngsten Initiativen privater Geldgeber, das Problem zeitraubender Antrags- und Begutachtungsverfahren öffentlich finanzierter Forschungsförderung zu umschiffen. Gerade bei akut auftretenden Forschungsbedarfen wie Covid-19 müsse schneller reagiert werden können. Verschiedenste Tech-Unternehmerinnen des Silicon Valley scheinen diese Lücke erkannt zu haben. Ein Beispiel sei das „Fast Grants“ Programm, welches mehr als 50 Millionen Dollar einbrachte, die rasch für Hunderte Forschungsprojekte zur Testung und Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden konnten. Dieser Erfolg werfe eine unbequeme Frage bezüglich US-amerikanischer Innovationspolitik auf: „If a little pop-up could unlock so many good ideas so quickly, how many potential breakthroughs are being denied every year by the traditional system of funding science?”

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stützten sich die Ausgaben der USA für die Wissenschaft auf zentralisierte Einrichtungen wie die National Institutes of Health (NIH) und die National Science Foundation (NSF). Trotz daraus entstandenen wichtigen Innovationen sei der Antragsprozess langsam und bürokratisch, sodass Forscher derzeit 10 bis 40 Prozent ihrer Zeit mit der Ausarbeitung komplexer Förderanträge verbrächten. Dieser Aufwand schmälere die Zeit für die eigentliche wissenschaftliche Arbeit und dränge sie zu Projekten, die eher den Begutachtungsausschüssen gefielen, als zu neuen Durchbrüchen führten. Studien belegten den langsamer werdenden Fortschritt in den Biowissenschaften und das seit Jahrzehnten rückläufige Wachstum wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Jetzt hätten sich Gründerinnen und Investoren - darunter Tech-CEOs, Krypto-Milliardäre, Bloggerinnen, Wirtschaftswissenschaftler, Prominente und Wissenschaftlerinnen - zusammengetan, um diesem Stillstand zu begegnen. Sie bauten eine Reihe neuer wissenschaftlicher Labore auf, um den Fortschritt beim Verständnis komplexer Krankheiten zu beschleunigen, die gesunde Lebensspanne zu verlängern und die Geheimnisse lange unerforschter Organismen zu lüften. Nachdem sich das Silicon Valley jahrzehntelang der Lösung oft trivialer Probleme gewidmet habe, versuchten Tech-Koryphäen nun, sinnvolle Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Wissenschaft funktioniere. Damit machten sie die Forschungsfinanzierung zu einem der heißesten Bereiche im Silicon Valley. Der Autor Derek Thompson beleuchtet diese neuen Ansätze durch die Vorstellung dreier solcher Start-Ups.

Das Arc Institute biete Wissenschaftlern eine mehrjährige Finanzierung ohne Bedingungen, so dass sie sich nicht um externe Zuschüsse bewerben müssen. Denn gerade die staatliche Wissenschaftsförderung in den USA binde die besten Wissenschaftlerinnen an zu viele Bedingungen, sodass sie nicht an den interessantesten Problemen arbeiten könnten. Finanziert mit mehr als einer halben Milliarde Dollar Investorengeld werde Arc bis zu 15 Kernforschern acht Jahre lang freie Mittel sowie ein Team von Forschungsassistentinnenen zur Verfügung stellen, um komplexe Krankheiten auf jede gewünschte Weise zu untersuchen. Diese private, personenbezogene Forschungsfinanzierung sei eine Chance, risikoreiche, weitergehende Neugier zu belohnen, heißt es von Arc-Geschäftsführerin Silvana Kohnemann.

Die US-amerikanische Wissenschaft leide zudem unter dem Biologie-Paradoxon, so der Autor. In ihrer Forschung ignorierten Biologen die Mehrheit der lebenden Organismen. Stattdessen würden mehr als 90 Prozent der Bundesmittel für die Wissenschaft für die Untersuchung einer kleinen Anzahl von Arten verwendet. Das 500 Millionen Dollar schwere Biotech-Unternehmen Arcadia Science fokussiere sich deshalb auf die Unterstützung der visionärsten Forschungsvorhaben mit besonderem Augenmerk auf wenig erforschte Arten. Arcadia plane außerdem, seine gesamte Forschung online ohne eine Paywall oder Peer-Review zu veröffentlichen, da diese Forschungskollaborationen erschwerten. Mitbegründerin und Biochemikerin Seemay Chou ist überzeugt: „We believe that open science is better science. Research is meant to be openly discussed for the benefit of readers and the public, and most peer review offers a false sense of security.”

Die gemeinnützige Forschungseinrichtung New Science setze derweil auf die Förderung junger Forschender. Denn obwohl Wissenschaftler unter 40 Jahren am produktivsten seien, steige das Durchschnittsalter der NIH-Geförderten von Jahr zu Jahr an. Finanziert durch Großspenden verschiedenster Tech-Gründer beabsichtige man, junge Menschen durch individuell angepasste Förderung zu unterstützen. Zwar sei eine gründliche Ausbildung wichtig, der Karriereweg in der Wissenschaft heute aber teilweise so steinig und lang, dass junges Potenzial verloren gehe. Statt der Vorerfahrung sollten deshalb Ideen und Talent im Vordergrund stehen.

Laut Derek Thompson könnten die neuen Akteurinnen aus dem Silicon Valley die Probleme der US-amerikanischen Wissenschaft zwar nicht alleine lösen, die besondere Chance dieser neuen Finanzierungsansätze liege aber auch darin, die Datenbasis über die Entstehung wissenschaftlicher Entdeckungen an sich erheblich zu verbessern. Mit ihrer Offenheit gegenüber ungewöhnlichen Ideen griffen die Start-Ups das amerikanische Wissenschaftssystem nicht an, sondern führten es vielmehr zu seinen Ursprüngen der von Neugier getriebenen wissenschaftlichen Revolution zurück.