DFG diskutiert Wissenschaftspolitik bei SBPC-Jahrestagung in Campo Grande

(13.08.19) Wo in Deutschland befindet sich das Teleskop, dessen Stahlstruktur in São Carlos konzipiert wurde? Wie sieht es aktuell im Bereich Postgraduierung in Brasilien aus? Wie sind die Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung in der Wissenschaft zu bewerten? Welchen Beitrag kann die Wissenschaft für eine effektivere Wissenschaftspolitik leisten?

Diese und weitere Fragen wurden im Rahmen der 71. Jahrestagung der Brasilianischen Gesellschaft für die Weiterentwicklung der Wissenschaft (Sociedade Brasileira para o Progresso da Ciência – SBPC) in Campo Grande diskutiert. Die Veranstaltung fand an der Bundesuniversität Mato Grosso do Sul (UFMS) statt, an der aktuell 1300 Lehrende die insgesamt 21 000 Studierenden in der Graduierung und Postgraduierung betreuen.

Das SBPC-Publikum verfolgt die Podiumsdiskussion zum Beitrag der Wissenschaft für die Wissenschaftspolitik

© DWIH São Paulo

Die Tagung stand unter dem zentralen Thema „Wissenschaft und Innovation an den Schnittstellen von Bioökonomie, Diversität und gesellschaftlicher Entwicklung“. Unter den rund 30 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern befanden sich sowohl Studierende und wissenschaftlicher Nachwuchs als auch erfahrene Forscherinnen und Forscher wie auch Vertreterinnen und Vertreter aus dem Wissenschafts- und Technologiesektor. Das vielfältige Programm umfasste 180 Symposien, Podiumsdiskussionen, Meetings und Vorträge sowie 600 Posterpräsentationen und mehr als 50 kulturelle Attraktionen. Vertreterinnen des DFG-Büros Lateinamerika nahmen im Rahmen einer vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo koordinierten Delegation an der Tagung teil.

Am Nachmittag des 23. Juli organisierte das DWIH São Paulo zusammen mit der SBPC eine Podiumsdiskussion zur Interaktion von Wissenschaft und Politik, an der auch die Leiterin des DFG-Büros Lateinamerika, Dr. Kathrin Winkler, teilnahm. In ihrem Vortrag erläuterte sie am Beispiel der DFG den Beitrag, den die Wissenschaft zu wissenschaftspolitischen Fragestellungen leisten kann. Die DFG nimmt mit ihren Aufgaben, ihrer Struktur und Förderphilosophie als Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft im heterogenen deutschen Fördersystem eine wichtige Rolle ein. Ein Beispiel dafür ist ihre Beteiligung an der Umsetzung der Exzellenzstrategie, die die internationale Sichtbarkeit der deutschen Forschung erhöhen soll. Ein Ziel dieser Maßnahme ist es, Deutschland als attraktiven Forschungsstandort zu konsolidieren. Laut Winkler führte die Initiative zu einer stärkeren Internationalisierung des deutschen Wissenschaftssystems sowie zu besseren Karrierechancen an den Hochschulen.

Im Rahmen der Evaluation des Vorgängerprogramms Exzellenzinitiative wurden auch verbesserungswürdige Aspekte aufgeführt, insbesondere im Hinblick auf die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs und die Verwaltungsstrukturen an den Forschungseinrichtungen. Die Empfehlung der Expertenkommission lautete, den Fokus primär auf wissenschaftliche Exzellenz zu legen, was dazu führte, dass die ursprünglichen drei Förderlinien auf zwei beschränkt wurden. Aktuell werden im Rahmen der Exzellenzstrategie die Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten finanziert.

Weitere Vortragende der Podiumsdiskussion waren der ehemalige Wissenschaftsminister Celso Pansera und die Wissenschaftlerin Dr. Dagmar Simon vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; moderiert wurde die Session von der ehemaligen SBPC-Präsidentin Prof. Dr. Helena Nader.

Im Themenblock „Perspektiven der Postgraduierung in Brasilien“ betonte CAPES-Präsident Prof. Dr. Anderson Correia, dass sich die Anzahl der Programme, Immatrikulationen und Abschlüsse zwischen 2006 und 2017 verdoppelt hat. Nach diesem beträchtlichen Wachstum will sich die DFG-Partnerorganisation nun um eine qualitative Verbesserung bemühen, unter anderem durch einen erhöhten Impact der durchgeführten Projekte und Forschungskooperationen mit dem Industriesektor. Die im Vierjahresrhythmus stattfindende Evaluation der CAPES hatte Restrukturierungsmaßnahmen zur Folge, wobei der internationalen Kooperation eine Schlüsselrolle zukommt. Aus diesem Grund hat das Internationalisierungsprogramm PrInt Correia zufolge weiterhin Priorität und wird ab 2021 in der zweiten Phase weitergeführt.

Während der Session „Bedeutende internationale Kooperationsprojekte im brasilianischen Wissenschaftssektor“ wurden die Rolle und Bedeutung Brasiliens in der internationalen Forschungslandschaft diskutiert. Brasilianische Forscherinnen und Forscher waren an den drei herausragenden wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten Jahre beteiligt: dem Nachweis des Higgs-Bosons 2012, der Gravitationswellen 2015 sowie an der ersten Fotoaufnahme eines Schwarzen Lochs in diesem Jahr. Vorgestellt wurden Initiativen im Bereich der Astronomie, zum Beispiel die Entwicklung von Teleskopen für das Gammateleskop CTA (Cherenkov Telescope Array), die in Chile und auf den Kanarischen Inseln installiert werden sollen. Diese Regionen bieten hervorragende atmosphärische Bedingungen und Eigenschaften zur Sternbeobachtung. Der Prototyp eines mittelgroßen Teleskops, von denen insgesamt 25 im Rahmen des Projekts genutzt werden sollen, wurde am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen installiert. Das Metallgestell, an dem die Kamera befestigt ist, wurde von dem brasilianischen Unternehmen Orbital Engenharia unter der Leitung von Prof. Dr. Luiz Vitor de Souza Filho vom Physikinstitut (IFSC) in São Carlos mit Förderung der FAPESP entwickelt. Die Vortragenden bekräftigten, dass für eine effektive Beteiligung brasilianischer Forschender an zukünftigen Projekten dieser Größenordnung kontinuierlich Fördermittel bereitgestellt werden müssen. Außerdem bedürfe es langfristiger Investitionen sowie Kooperationen mit Unternehmen und dem Industriesektor.

Ein weiterer Programmpunkt der SBPC-Jahrestagung war die Gleichstellung in der Wissenschaft, und Prof. Dr. Alice Abreu von der Bundesuniversität Rio de Janeiro (UFRJ) hielt einen Vortrag zu diesem Thema. „Im akademischen Bereich gestalten sich die Karriereschritte von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unterschiedlich, was daran liegt, dass die Wissenschaftssysteme nicht neutral sind und Männer mit ihren Erwartungen und Rollen sich darin besser einordnen lassen“, erläuterte die Expertin einleitend. Davon ausgehend stellte sie grundlegende Aspekte des Berichts „Pathways to Success: Bringing a Gender Lens to the Scientific Leadership of Global Challenges“ vor, der von der Initiative GenderInSITE erarbeitet wurde. Die Publikation basiert auf Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die internationale Forschungsprojekte leiten, und untersucht die Hindernisse für notwendige Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen – angefangen bei den Forscherinnen und Forschern als Individuen, den institutionellen Strukturen an ihren Arbeitsplätzen über nationale und internationale Strategien und Maßnahmen bis hin zu multilateralen Organisationen wie die UNO oder die UNESCO.

Die 1948 gegründete SBPC setzt sich für den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sowie für die Förderung von Bildung und Kultur in Brasilien ein. Derzeit gehören ihr 142 wissenschaftliche Fachgesellschaften sämtlicher Wissensbereiche und rund 5000 aktive Mitglieder an. Die Jahrestagung der SBPC findet jedes Jahr in einem anderen brasilianischen Bundesstaat an einer öffentlichen Hochschule statt – mehrere Tausend Teilnehmende versammeln sich regelmäßig zu diesem Anlass, um wissenschaftspolitische Themen zu diskutieren und um mit der Bevölkerung in einen Dialog zu wissenschaftlichen Erkenntnissen verschiedener Fachbereiche zu treten.

Weitere Informationen