Gleichstellung, Diversität und Inklusion nach Corona: Quo vadis?

Beim 21. Gender Summit vom 14. bis 16. April diskutierten internationale Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Forschungsförderung und Politik virtuell über die Bedeutung von Gleichstellung, Diversität und Inklusion für die Exzellenz in Wissenschaft und Forschung. Im Fokus standen auch die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie.

Tagungshalle beim Gender Summit 2021

Eingangsbild des 21. Gender Summits

© Gender Summit

Bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft hat es in den vergangenen 20 Jahren weltweit große Fortschritte gegeben. Dennoch bleibt viel zu tun: Im Jahr 2018 erwarben beispielsweise in Deutschland Frauen etwas mehr als die Hälfte der Hochschulabschlüsse (51,4 Prozent), während nur 24,7 Prozent der Professuren mit Frauen besetzt waren. Neben der Gleichstellung gewinnen auch zunehmend die Aspekte Diversität und Inklusion auf allen Ebenen des Wissenschaftssystems und des wissenschaftlichen Arbeitens an Bedeutung. Sie sollen stärker verankert werden, um wissenschaftliche Exzellenz in ihrer gesamten Breite zu ermöglichen und zu fördern.

Über diese Themen und Herausforderungen diskutierten beim 21. Gender Summit rund 80 Vortragende und insgesamt 920 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Pandemiebedingt trafen sich die weltweit mit Chancengleichheit in der Wissenschaft befassten Expertinnen und Experten bereits zum zweiten Mal virtuell. Die Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen waren auch selbst Gegenstand der Diskussionen, haben sie doch geschlechterbezogene Lücken noch sichtbarer gemacht: Während der Pandemie ging die Zahl der von Frauen bei Fachzeitschriften eingereichten Publikationen zurück, insbesondere weil Frauen verstärkt in Fürsorgeaufgaben eingebunden sind. Darüber hinaus traten auch Ungleichheiten im Zusammenhang mit weiteren Diversitätsdimensionen stärker hervor.

Veranstalter des seit zehn Jahren an weltweit wechselnden Orten stattfindenden Gender Summits war die in London und Passau ansässige Nichtregierungsorganisation Portia Ltd. Neben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und weiteren acht Mitgliedern der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen war die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) als Gastgeber des eigentlich in München geplanten Summits beteiligt.

DFG-Präsidentin Prof. Dr. Katja Becker beim Gender Summit 2021

DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker hielt zur Eröffnung des Gender Summits eine Begrüßungsrede und diskutierte in einer virtuellen Runde mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Allianz

© Gender Summit

Nach der Ausstrahlung der zuvor aufgenommenen Grußworte am 15. April diskutierten Präsidentinnen und Präsidenten der Allianz-Organisationen in einer virtuellen Runde unter dem Titel „Advancing Collective Action to Incorporate Gender and Intersectionality Dimensions in Research and Innovation, and in Science Policy”. Zur Frage, wie es gelingen könne, Forscherinnen und Forscher und ihre wissenschaftliche Arbeit nach vorurteilsfreien Kriterien zu bewerten, wies DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker auf die große Herausforderung hin, bestehende Konzepte zur Gleichstellung nicht einfach durch eine Diversitätsstrategie zu ersetzen. „Wir müssen vielmehr mögliche Synergien nutzen und die Komplexität der einzelnen Dimensionen berücksichtigen und nicht zuletzt auch die noch größere Herausforderung der Intersektionalität“, so Becker. Intersektionalität bedeutet, dass in einer Person mehrere Unterschiedsdimensionen zusammentreffen, wie Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft, sexuelle Identität, Kultur, Gesundheitszustand, Lebenssituation oder sozialer Status.

„Zentral ist hierbei, Forschende und ihre wissenschaftliche Arbeit nach Qualität und nicht nach Quantität zu beurteilen”, führte Becker weiter aus. Wichtig sei, Gutachterinnen und Gutachter für die Thematik zu sensibilisieren, Lebenslaufformulare für Diversitätsaspekte weiter zu öffnen und nicht zuletzt die Forschung über Diversität zu fördern. Der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Professor Dr. Hans-Christian Pape, hob hervor, wie dynamisch und komplex das Phänomen sei: „Wir müssen die Wendepunkte herausfinden, an denen Karrierewege zusammen- oder auseinanderlaufen, und die verschiedenen Faktoren untersuchen, die dabei eine Rolle spielen.“ Bei der Begutachtung wissenschaftlicher Erfolge werde wissenschaftliche Exzellenz immer die größte Bedeutung haben – die große Aufgabe für die Zukunft sei es aber, auch das Potenzial von Forscherinnen und Forscher stärker zu berücksichtigen und die vielen alternativen Kriterien so klar zu analysieren und zu formulieren, dass sie systematisch im Bewertungsprozess berücksichtigt werden könnten.

Professor Dr. Hans-Christian Pape, AvH

Neben Professor Dr. Hans-Christian Pape, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, und DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker nahmen Professor Dr.-Ing. Jan Wörner, Präsident von acatech, Professor Dr. Ulman Lindenberger, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, und die Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Professorin Dr. Dorothea Wagner, an der Diskussionsrunde zur Eröffnung des Gender Summits teil

© Gender Summit

Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des runden Tisches, dass Gleichstellung, Diversität und Inklusion auch auf der Ebene des wissenschaftlichen Arbeitens und bei der Formulierung von Forschungsvorhaben wichtige Voraussetzungen für wissenschaftliche Exzellenz seien. Eine große Herausforderung bestehe darin, Interdisziplinarität und damit den Austausch unterschiedlicher Fächerkulturen und Denkformen weiter zu befördern. Dafür müssten wissenschaftliche Karrierewege weiter geöffnet werden, da sie bislang meist noch innerhalb einzelner Fächergrenzen verliefen.

Magdalena Skipper, Moderatorin und Nature-Chefredakteurin, fasste abschließend zusammen, dass „Diversität ein globales Phänomen“ sei, das „lokale Lösungen“ brauche, je nach Ländern, Institutionen und Disziplinen. Es gelte zu überdenken, was „Talent“ bedeute. Dabei sei es wichtig, weit mehr als Kennzahlen und Metriken zu berücksichtigen. Nicht zuletzt müssten dafür Evaluationen und Begutachtungen flexibler und offener auf die individuellen Karriereverläufe ausgerichtet werden.

Der Chemiker Professor Dr. Roland A. Fischer ist im Präsidium der DFG verantwortlich für das Thema Chancengleichheit

Der Chemiker Professor Dr. Roland A. Fischer ist im Präsidium der DFG verantwortlich für das Thema Chancengleichheit

© Gender Summit

Zu dem drei Tage andauernden Gender Summit trug die DFG auf vielfältige Weise bei: Professor Dr. Roland A. Fischer, der für das Thema Chancengleichheit verantwortliche DFG-Vizepräsident, moderierte am 16. April eine hochkarätig besetzte Plenumsdiskussion zum Thema „Reaching out from Science to Society: Creating Evidence Driven Policy Ecosystems for Equality, Diversity and Inclusion”. An einer weiteren Plenumsveranstaltung nahm die Leiterin der Gruppe Chancengleichheit, Wissenschaftliche Integrität, Verfahrensgestaltung der DFG, Dr. Sonja Ochsenfeld-Repp, teil. Bei der Diskussion über „Recognising the Movers and Shakers of Institutional Change in Science. What has Changed after former Gender Summit Events?“ stellte sie die Aktivitäten der DFG im Bereich Gender- und Diversitätsdimensionen in der Forschung vor sowie die entsprechende Verknüpfung zur guten wissenschaftlichen Praxis.

Gleich zu Beginn des Summits hatte zudem Dr. Eva Reichwein, Leiterin des Teams Chancengleichheit der DFG, bei einem der acht Auftaktworkshops einen Einblick in die bisherigen Aktivitäten der DFG auf dem wachsenden Feld der „Intersectionality in Research Funding: Thinking on Strategies for Implementation“ gegeben. Ausgerichtet wurde dieser Workshop vom Human Sciences Research Council South Africa.

Messestand der DFG beim Gender Summit 2021

An einem virtuellen Stand der DFG konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Summits im direkten Austausch sowie über einen Film über die DFG und ihr Förderhandeln informieren

© Gender Summit

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gender Summits waren sich insgesamt einig, dass die Coronavirus-Pandemie eindrücklich die Notwendigkeit offenbart habe, stärker auf diverse Lebensläufe einzugehen und Perspektivenvielfalt zu fördern. Hier seien alle Akteure in den Wissenschaftssystemen gefragt und neben der Formulierung von Regeln auch deren persönliches Engagement. Mit Blick auf die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz wollte man in Zukunft weiter die Kriterien zur Bewertung von Exzellenz überdenken und anpassen und sich auch für die Änderung der strukturellen Rahmenbedingungen einsetzen.

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