„In Amerika gewesen“: Deutsche Forschende in den USA und Kanada im Gespräch

Dr. Laurel Raffington

Dr. Laurel Raffington

© Dr. Laurel Raffington

(26.01.21) Dr. Laurel Raffington ist von Januar 2019 bis Mai 2021 als Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Department of Psychology und Population Research Center der University of Texas in Austin um ein entwicklungspsychologisches Forschungsprojekt durchzuführen, das der Frage nachgeht, wie sich soziale Ungleichheit auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Dazu integriert Sie psychologische, endokrinologische, genetische und epigenetische Daten von Zwillingskindern. Sie sprach mit dem Nordamerika-Büro der DFG über ihr Projekt, die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ihre beruflichen Ambitionen und die Besonderheiten des US-Bundesstaats Texas.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium und seit 2019 mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Wissenschaftsbereichen immer noch herrschenden Überzeugung, dass „in Amerika gewesen“ zu sein für die Karriere hilfreich sei. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der von den Geförderten verfolgten Forschungsvorhaben vermitteln; in dieser Ausgabe, wer sich hinter der Fördernummer RA 3208 verbirgt.

DFG: Liebe Frau Raffington, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch nehmen. Ihr Lebenslauf weist einige interessante Punkte auf, so etwa den Beginn Ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Tokyo Yokohama, Japan und das Abitur an der deutsch-amerikanischen John F. Kennedy School in Berlin. Erzählen Sie doch mal.

Laurel Raffington (LR): Ich danke der DFG für die Unterstützung meiner Forschung und wissenschaftlichen Karriere durch die Finanzierung eines Forschungsaufenthalts in den USA.

Ich bin als Kind und Erwachsene häufig umgezogen und habe unter anderem in New York, Bristol, Berlin und Tokyo (aber auch in Witterschlick und Bremerhaven!) gelebt.

Das liegt zum Teil daran, dass mein Vater Deutscher ist und meine Mutter Amerikanerin. Meine Eltern sind sich in den 70ern in Colorado über den Weg gelaufen, wohin es meinen Vater als Doktorand verschlagen hatte und was nicht weit vom kalifornischen Geburtsort meiner Mutter liegt. Während meines Forschungsaufenthalts in den USA ist mir nochmal deutlich geworden, dass ich Deutsche und Amerikanerin bin – nicht eines mehr als das andere, sondern einfach beides.

DFG: Ihre Mutter ist Shiatsu-Therapeutin und Life Coach, Ihr Vater Jurist und Ministerialdirigent a.D. Mit einem Einser-Abitur standen Ihnen vermutlich alle beruflichen Laufbahnen offen. Warum ist es Forschung geworden und warum im Bereich der Entwicklungspsychologie?

LR: Als ich 17 war habe ich die von der BBC produzierte und im Jahr 2000 begonnene Dokumentationsserie „Child of Our Time“, die Kinder und Familien über mehrere Jahre hinweg begleitet, gesehen und war fasziniert. Dazu haben wir bei Frau Adelsberger im Leistungskurs Biologie die Neurowissenschaften ein wenig kennenlernen dürfen. Dass unser Gedächtnis irgendwie in elektrischen Synapsen-Signalen kodiert ist, fand ich ziemlich irre. Die Vielfalt der entwicklungspsychologischen Forschung und Diversität der menschlichen Entwicklung haben mich einfach begeistert. Mein Bruder ermutigte mich dazu, Medizin zu studieren, aber als ich im Rahmen eines Laborpraktikums Tumorbehandlungen miterlebt habe, wusste ich, dass das nicht das Richtige für mich wäre. Als Forscherin werde ich dafür bezahlt, mir neue Erkenntnisse anzueignen, sie selbst zu entdecken und mit anderen zu teilen. Welch ein Privileg!

DFG: Sie sind dann als Postdoc mit einem DFG-Forschungsstipendium an die Universitiy of Texas in Austin gegangen. Warum dorthin?

LR: Ich hätte selbst nie gedacht, dass ich mal nach Texas ziehe, vor allem während der Amtszeit von Donald Trump, aber die Forschung von meinen Postdoc-Mentoren Prof. Kathryn Paige Harden und Prof. Elliot Tucker-Drob passte einfach exzellent zu meinem Forschungsvorhaben. Zum Beispiel kann ich mir anhand der Daten des „Texas Twin Project“ anschauen, wie ähnlich sich die epigenetischen Profile von Hunderten von eineiigen Zwillingen aus einer sozioökonomisch repräsentativen Stichprobe sind. Solche Datensätze und die statistische und theoretische Expertise meiner Mentoren sind weltweit rar. Der Schritt nach Texas war daher für mich eine Chance, Genetik und Epigenetik mit in meine Forschung aufzunehmen. Das war ebenso herausfordernd wie spannend. Soziale Ungleichheit und genetische Einflussgrößen auf menschliche Entwicklung zu erforschen, finde ich ziemlich stark.

DFG: Sie haben Ergebnisse Ihrer Forschung auch für den Science Slam während der vergangenen Tagung des German Academic International Network (GAIN) als „Fünfminüter“ aufbereitet und vorgetragen. Lässt sich das noch mehr komprimieren und als Antwort auf die Frage „Are we born or are we made?“ zuspitzen?

LR: In meinem Science Slam wollte ich empirische Hinweise für die Idee vermitteln, dass wir soziale Strukturen haben – soziale Ungleichheit, wie Klassismus, Rassismus, Sexismus – die dazu führen, dass wir die Vielfalt der menschlichen genetischen Variation nicht voll nutzen. Gruppen von Individuen können ihr Potenzial aufgrund mangelnder Bildungschancen, Gesundheitsproblemen, zu viel Stress und so weiter, nicht voll ausleben.

Ich halte die Frage „Are we born or are we made?“ für irreführend. Unsere Gene konkurrieren nicht mit unserer Umwelt. Stattdessen sollten die Fragen vielleicht lauten: „How do our genes select and interact with our environments? How do societal constructs impose limits on this gene-environment interplay, and what are the social and psychological mediators that we can influence?”

DFG: Mit Ihrer Karriere wird es in den kommenden drei, vier Jahren dann wie weitergehen?

LR: Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt an einem Punkt in meiner Karriere angekommen bin, bei dem sich innerhalb der nächsten Zeit ergeben wird, ob ich tatsächlich langfristig in der Forschung und Hochschullandschaft berufstätig sein werde oder ob ich in eine wissenschaftsnahe Beschäftigung wechsle. Wie so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in meinem Berufsstadium in Deutschland, suche ich jetzt nach einer langfristigen Perspektive und Anstellung und bewerbe mich derzeit in verschiedenen Programmen um die Leitung einer Forschungsgruppe und auf Tenure Track Stellen. Obwohl ich schon so oft umgezogen bin oder vielleicht genau deswegen – Umzüge zerbrechen mir immer ein wenig das Herz und mein Sohn und Mann haben bei dem Hin und Her in die USA auch viel mitgemacht. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass viele exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses System verlassen müssen.

DFG: Seitens der DFG sind wir bestrebt, den Frauenanteil in der Wissenschaft zu erhöhen und wirken dazu mit den Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards in die akademische Forschungslandschaft hinein. Unsere Geschäftsstelle ist zudem von der Hertie-Stiftung seit nunmehr 20 Jahren als familienfreundlich zertifiziert. Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch Handlungsbedarf?

LR: Die DFG ist hier ohne Zweifel eine Vorreiterin in die richtige Richtung. Ohne die Kinderzuschüsse hätte ich mich nicht um ein DFG-Forschungsstipendium beworben. Aber Umzüge und das Familienleben in den USA sind sehr teuer und das Stipendium alleine konnte das bei uns nicht abdecken, vor allem, weil Kinderbetreuungskosten vorgestreckt werden müssen. Hätte ich ein weiteres Kind in den USA bekommen, hätte ich kaum weitere Zuschüsse oder Elternzeitverlängerungen bekommen.

Probleme sehe ich auch bei den ausländischen Krankenversicherungen für Stipendiatinnen und Stipendiaten. Diese decken zum Beispiel nicht die Kosten einer Geburt innerhalb der ersten sechs bis acht Monate des Stipendiums. Das bedeutet, dass schwangere Wissenschaftlerinnen oder Studentinnen ihren Auslandsaufenthalt nicht wahrnehmen können. Das finde ich ziemlich skandalös. Viele reproduktive Leistungen, die in Deutschland versichert sind, sind im Ausland nicht gedeckt. Falls man schwanger zurückkehrt, gibt es kein richtiges Elterngeld oder eine Verlängerung des Stipendiums. Als Wissenschaftlerin im reproduktiven Alter können diese Umstände richtige Probleme verursachen.

Die Einflussmöglichkeit der DFG auf die deutsche Hochschullandschaft ist aber einfach auch begrenzt. Ich schließe mich anderen Stimmen aus der Wissenschaft an, die das Wissenschaftszeitgesetz durch ein Gesetz für Perspektiven in der Wissenschaft ersetzen möchten. Direkt nach der Promotion – und spätestens nach einer Postdoc Stelle – sollte Tenure Track oder Dauerstelle zum Standard werden. Ich hätte auch mit einer sozialversicherten langfristigen Stelle in Deutschland eine Forschungskollaboration mit meinen Professoren in Austin realisieren können – ich mache es derzeit, da ich wegen der Pandemie frühzeitig nach Deutschland zurückgekehrt bin.

Um die Wissenschaft diverser zu machen – nicht nur den Anteil weißer Frauen wie mir, sondern auch den Anteil von People of Color, mit körperlichen Beeinträchtigungen, Newcomer in Deutschland und anderen unterrepräsentierten Personen zu erhöhen, müssen wir noch viel tun. Dazu sollten sich wissenschaftliche Institutionen und Bildungsträger von Expertinnen und Experten für Inklusivität und Anti-Rassismus beraten und leiten lassen.

DFG: Sie waren im Rahmen Ihres Forschungsstipendiums jetzt fast zwei Jahre in Texas, wenngleich mit Austin an einem der prominent liberalen Flecken dieses riesigen und erzkonservativen Bundesstaats. Wie haben Sie das erlebt? Was hat denn Austin zu bieten?

LR: Im ersten Jahr, also bevor die Pandemie begann, haben wir in Texas viel Spaß gehabt. Wir sind an warmen Tagen im Januar schwimmen gegangen, waren gut jedes zweite Wochenende in einem wunderschönen State Park, haben viele tolle Familien kennen gelernt, mit denen wir zu familienfreundlichen Restaurants, Konzerten, Vintage Car Shows, Baseball-Spielen der Queer-Szene und Black Lives Matter Events gegangen sind.

Die Spannung zwischen Demokraten und Republikanern kriegt man in Austin am Kapitol mit, da dort an einem Tag für humanitäre Immigrationspolitik und am nächsten Tag gegen Abtreibung protestiert wurde. Wenn wir außerhalb von Austin in kleineren Orten unterwegs waren, haben wir uns gut überlegen müssen, wo wir als „multiracial“ Familie aussteigen.

Mit Beginn der Pandemie war es dann eine andere Welt und die mangelnde sozialstaatliche Unterstützung in Texas war sofort sichtbar, als Gastronomiebetriebe schon teils nach zwei Wochen ohne finanzielle Unterstützung bankrott waren, Menschen ihre Jobs verloren, nicht krankenversichert waren, Kinder ohne genug Essen, welches sie sonst in den Schulen bekommen, zu Hause verharrten. Aber die Communities und viele gemeinnützige Organisationen arbeiten hart, um sich gegenseitig zu helfen.

DFG: Wir bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch und wünschen Ihnen, dass sich Ihre Pläne in Deutschland so realisieren lassen, wie Sie es sich vorstellen. Noch eine letzte Frage: Kennen Sie persönlich Zwillinge?

LR: Ja, aber noch keine eineiigen.

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