Fachtagung unterstreicht Kooperationspotenzial in den Neurowissenschaften

(24.06.19) Im Rahmen des internationalen Kongresses zum Thema „Brain, Behavior and Emotions“ konnten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Forschungs- und Kooperationsmöglichkeiten in Deutschland informieren. Die interdisziplinäre Tagung mit mehr als 4000 Teilnehmenden aus den Bereichen Medizin, Neurowissenschaften, Pharmakologie und Psychologie fand vom 5. bis 8. Juni in Brasília statt. Das DFG-Büro Lateinamerika organisierte zu diesem Anlass einen „Research in Germany“-Auftritt: Vertreterinnen der DFG und des DAAD gaben an allen Kongresstagen umfassend Auskunft über die deutsche Forschungslandschaft sowie Möglichkeiten für international Forschende und das entsprechende Förderangebot.

Prof. Dr. Schläpfer im Gespräch mit wissenschaftlichem Nachwuchs am Stand

Prof. Dr. Schläpfer im Gespräch mit wissenschaftlichem Nachwuchs am Stand

© DFG

Darüber hinaus waren Interessierte dazu eingeladen, sich bei einem „Meet the Speaker“ am Stand mit dem Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, auszutauschen. Rund 25 Personen erfuhren mehr über Schläpfers Forschungsarbeit und erhielten aus erster Hand Informationen und Tipps zu Karrieremöglichkeiten in Deutschland.

Das erstmalig vom DFG-Büro Lateinamerika durchgeführte Veranstaltungsformat wurde durchweg positiv aufgenommen. „Es mangelt bei solchen Kongressen oft an Kontaktmöglichkeiten mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, und diese Veranstaltung hat uns eine Tür zur Annäherung an einen gut etablierten ausländischen Forscher geöffnet. Gleichzeitig bekamen wir außerdem noch einen Einblick in den Forschungsstandort Deutschland – für mich war es eine sehr wertvolle Erfahrung“, so die Einschätzung der Pharmakologin Dr. Quelen Garlet, die an der Bundesuniversität Rio Grande (FURG) lehrt.

Schläpfer zeigte sich beeindruckt angesichts des großen Interesses und des vorhandenen Kooperationspotenzials mit Brasilien: „Diese Tagung zeichnet sich durch eine hohe wissenschaftliche Qualität aus, und die brasilianischen Forschenden sind darüber hinaus sehr motiviert und wettbewerbsfähig – wichtige Voraussetzungen für eine internationale Wissenschaftskarriere.“

Die Neurowissenschaften sind ein Bereich, der sich generell besonders gut für internationale Kooperationen eignet. Die Komplexität des Gehirns gibt der Forschung seit Jahrzehnten Rätsel auf und weltweit beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit, Antworten zu finden – eine Mission, die vielfältige Expertise und damit in der Regel auch intensive internationale Zusammenarbeit erfordert.

Ein Beispiel dafür ist ein deutsch-argentinisches Projekt, das den als Neurogenese bekannten Prozess der Bildung neuer Nervenzellen untersucht und seit 2018 jeweils von der DFG und ihrer Partnerorganisation CONICET finanziert wird.

Induzierte Neuronen (in gelb) und gliale Zellen (in rot und grün) im zerebralen Kortex einer Maus

Induzierte Neuronen (in gelb) und gliale Zellen (in rot und grün) im zerebralen Kortex einer Maus

© Dr. Nicolás Marichtal

Die bilaterale Initiative ermöglicht die Zusammenarbeit des deutschen Forschers Prof. Dr. Benedikt Berninger, Spezialist im Bereich der Entwicklung und Reifung neuronaler Stammzellen, und des argentinischen Experten für Reprogrammierung von Zellen, Dr. Alejandro Schinder.

„Wenn Schäden am Gehirn entstehen, sind die Wiederherstellungsmöglichkeiten begrenzt. Bei einem Schlaganfall beispielsweise sterben Nervenzellen ab, ohne dass neue gebildet werden, und wir suchen nach Wegen, um das zu ändern“, erläutert Berninger, der am Institut für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig ist.

Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Experimente am zerebralen Kortex von Mäusen können somit zur zukünftigen Entwicklung neuer klinischer Therapien beitragen.

Die Arbeitsgruppe von Dr. Schinder beschäftigt sich am Institut Leloir in Buenos Aires mit der Hirnregion des Hippocampus, in der im Laufe des Lebens neue Nervenzellen gebildet werden. Untersucht werden die Prozesse, in denen aus neuronalen Stammzellen Neuronen entstehen, wie sich diese wiederum in das bereits bestehende Netzwerk integrieren sowie die für die Integration relevanten Einflussfaktoren. Diese Neuronen reifen in einer bestimmten Geschwindigkeit, wobei der Rhythmus durch veränderte Bedingungen und spezifische Impulse induziert und beschleunigt werden kann. Das Team in Argentinien analysiert, wie dies abläuft und inwiefern die Eigenschaften der neuen Zellen dadurch beeinflusst werden.

Die deutsche Seite hingegen erforscht die Bereiche des zerebralen Kortex, in denen keine neuen Neuronen gebildet werden. Berninger und seinen Kollegen in Mainz ist es gelungen, mithilfe molekularer Vorgänge andere Zellen in Neuronen umzuwandeln – dieser Prozess wird Reprogrammierung genannt. „Auf diese Art und Weise gebildete Neuronen sind noch nicht ausgereift. Im Rahmen des Projekts möchten wir Dr. Schinders Erkenntnisse nutzen und testen, ob die Reifung induzierter Neuronen in Hirnregionen, in denen keine natürliche Neurogenese stattfindet, optimiert werden kann. Unsere Arbeit könnte dazu beitragen, dass geschädigte Nervenzellen durch neue ersetzt werden“, erläutert der deutsche Projektkoordinator.

Schinder betonte, dass eine solche Zusammenarbeit nur durch internationale Ausrichtung möglich ist: „Wenn es um Fragestellungen der Natur und Biologie geht, existieren keine Grenzen. Internationale Kooperationen ermöglichen die Bearbeitung eines Themas durch vielfältige Herangehens- und Denkweisen – alle Beteiligten leisten dabei mit ihren Perspektiven, die auf deren Kultur und Umgebung basieren, einen Beitrag und erweitern den Blickwinkel für Fragestellungen.“