DFG fördert Chancengleichheit im deutschen Wissenschaftssektor

Anlässlich des Frauentags am 8. März stellen wir die Maßnahmen der größten deutschen Forschungsförderorganisation zur Gleichstellung in der Wissenschaft vor

Wissenschaftlerinnen der Archaeologie untersuchen antike Scherben aus Troja in der Antikensammlung der Friedrich-Schiller-Universität in Jena

Wissenschaftlerinnen der Archaeologie untersuchen antike Scherben aus Troja in der Antikensammlung der Friedrich-Schiller-Universität in Jena

© DAAD/Jan Zappner

Trotz der beachtlichen Fortschritte, die feministische Bewegungen in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben, sind Frauen in verschiedenen sozialen Bereichen weltweit nach wie vor unterrepräsentiert. Dies gilt auch für den Wissenschaftssektor: Laut der jüngsten Datenerhebung der UNESCO liegt der Frauenanteil in der Forschung bei lediglich 28,8 Prozent.

Die Studie bildet auch die jeweiligen regionalen beziehungsweise nationalen Ausprägungen der Ungleichheit rund um den Globus ab und hat ergeben, dass die geringe Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft nicht zwingendermaßen mit hoher sozialer Ungleichheit und langsamer wirtschaftlicher Entwicklung einhergeht. Im regionalen Vergleich beträgt der Frauenanteil im Bereich Forschung und Entwicklung in Lateinamerika 45,5 Prozent, in Westeuropa und Nordamerika sind es hingegen nur 32,3 Prozent.

Deutschland reiht sich dabei in den weltweiten Durchschnitt ein, denn trotz des gut etablierten deutschen Wissenschaftssystems stellt die Chancengleichheit von Männern und Frauen nach wie vor eine Herausforderung dar. An den rund 1000 öffentlichen Forschungseinrichtungen sind insgesamt 401.000 Personen tätig, lediglich 28 Prozent davon sind weiblich.

Dieser Anteil dünnt sich weiter aus, wenn man höhere akademische Karrierestufen betrachtet. Laut Erhebungen der DFG entfielen im Jahr 2016 mit 50,6 Prozent gut die Hälfte der Studienabschlüsse auf Frauen, doch der entsprechende Anteil bei den Professuren betrug insgesamt nur 23,9 Prozent – unter den höchstdotierten C4/W3-Professuren lag er sogar nur bei 11,6 Prozent. Diese Zahlen belegen, dass viele Frauen nicht dauerhaft im Wissenschaftssystem verbleiben.

Nach Auffassung der DFG stellt ein derartiges Ungleichgewicht einen Verlust für die Wissenschaft dar, denn dadurch entsteht ungenutztes Talent und Potenzial, was zur Exzellenz in der Forschung beitragen könnte und der deutschen Forschungslandschaft verloren geht. Die DFG hat sich daher die Chancengleichheit zur Aufgabe gemacht: 2002 beschloss die Mitgliederversammlung, die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wissenschaft als programmatisches Ziel in § 1 der Satzung der DFG aufzunehmen. Seitdem wurde eine Vielzahl von Anstrengungen unternommen, um diesen Anspruch sowohl in der Förderung als auch in den internen Strukturen umzusetzen.

Die Ursachen für die Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen sind vielschichtig; ein häufiger Grund ist allerdings die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Angesichts dieser Tatsache hat die DFG Anstrengungen unternommen, um unter geschlechterspezifischen Gesichtspunkten einen universalen Zugang zu allen akademischen Karrierestufen zu ermöglichen. Unter anderem gehört dazu die Berücksichtigung von Eltern- beziehungsweise Auszeiten und damit verbundene Publikationspausen bei der Bewertung der wissenschaftlichen Qualifikation von Antragstellenden.

„Mit der Förderung der Chancengleichheit möchten wir zur Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Forschung sowie zur Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie beitragen. Darüber hinaus soll dadurch auch die Attraktivität des Forschungsstandorts gesteigert werden – insbesondere in Bezug auf den wissenschaftlichen Nachwuchs“, erläutert Dr. Ines Medved, Referentin in der Gruppe Chancengleichheit, Wissenschaftliche Integrität und Verfahrensgestaltung der DFG-Geschäftsstelle in Bonn.

Um diesen Zielen näherzukommen, unterstützt die DFG Forscherinnen und Forscher außerdem im Rahmen ihrer Förderprogramme mit entsprechenden Maßnahmen – so können beispielsweise zusätzliche Mittel für die Anstellung von Teilzeitpersonal – auch in der Projektleitung – beantragt werden, wenn die entsprechenden Forschenden in Elternzeit sind.

Wissenschaftlerinnen des MPI in Effelsberg

Wissenschaftlerinnen des MPI in Effelsberg

© DAAD/Volker Lannert

Seit 2006 ist die DFG zusammen mit anderen Wissenschaftseinrichtungen an der „Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“ beteiligt, die darauf ausgerichtet ist, Frauen in der Forschung zu stärken. Zwei Jahre später verständigten sich die Mitgliedseinrichtungen der DFG im Rahmen einer Selbstverpflichtung auf Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards, um die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft auf allen Karrierestufen des deutschen Wissenschaftssystems zu erhöhen und die Thematik der Gleichstellung auf Leitungsebene zu verankern. 2017 wurden diese Inhalte erweitert und erneuert.

Medved zufolge haben diese Bemühungen bereits konkrete Ergebnisse hervorgebracht: „In einer Studie wurde die Implementierung und Umsetzung dieser Standards verfolgt und deutlich, dass damit bereits strukturelle und kulturelle Veränderungen zur Verbesserung der Gleichstellung erreicht werden konnten. Zusammen mit anderen Initiativen und Programmen hat die Chancengleichheit im Wissenschaftssystem dadurch an Bedeutung gewonnen.“

Die an der Initiative beteiligten Institutionen sind 2018 außerdem übereingekommen, künftig alle zwei Jahre qualitative, schlanke Berichte zu wechselnden Schwerpunktthemen einzureichen und sich frei von Wettbewerb zu erfolgreichen und weniger erfolgreichen Gleichstellungsmaßnahmen auszutauschen.

Was die internen Strukturen der DFG betrifft, wurde in der Geschäftsstelle ein Bereich zur Förderung der Chancengleichheit eingerichtet. Besondere Priorität hat dabei die kontinuierliche Erhöhung des Frauenanteils in den Gremien sowie in den Begutachtungsprozessen. Den 2017 beschlossenen Zielwert von mindestens 30 Prozent Wissenschaftlerinnen in ihren Gremien hat die DFG überwiegend bereits erfüllt – im vergangenen Jahr bestanden der Senat sowie der Hauptausschuss zu 45 Prozent aus weiblichen Mitgliedern. Nach Einschätzung von Dr. Medved ist die stärkere Beteiligung von Forscherinnen in den Entscheidungsprozessen bereits ein großer Fortschritt, der zu „mehr Gerechtigkeit führt, vielfältigere Perspektiven eröffnet und gleichzeitig einseitige Entscheidungsprozesse verhindern kann“.

Ein weiteres besonderes Augenmerk liegt insbesondere auf einer steigenden Anzahl von Antragstellerinnen: Im Zeitraum 2014 bis 2017 wurde ein leichter Anstieg von 13,5 auf 19,1 Prozent bei den von Forscherinnen eingereichten Sachbeihilfe-Anträgen verzeichnet; bei den Koordinierten Programmen erhöhte sich der Anteil von 22,2 auf 25,6 Prozent.

Seit 2017 verfolgt die DFG zudem ein Qualitatives Gleichstellungskonzept, in dem sie ihre Förderverfahren und -instrumente auf mögliche strukturelle Hemmnisse hin untersucht und die Gleichstellung von Männern und Frauen durch geeignete Maßnahmen fördert. Darüber hinaus soll das Förderhandeln auf die Aspekte Karriere und Personalentwicklung sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Partnerschaft oder Familie geprüft werden. Als erste konkrete Maßnahmen beschlossen die Gremien etwa für das Emmy Noether-Programm die Abschaffung der zwölfmonatigen Residenzpflicht im Ausland sowie die Einführung eines zweckgebundenen Familienzuschlags von bis zu 6000 Euro pro Jahr für Kongress- und Forschungsreisen.

In den kommenden Jahren wird die Förderorganisation die Vielfältigkeit im Wissenschaftssektor in den Blick nehmen, um die Perspektivenvielfalt in der Forschung zu verbreitern und somit die Qualität der Forschung weiter zu verbessern. Dazu zählen unter anderem zu behandelnde Themen wie Beschwerden wegen sexueller Belästigung im Zusammenhang mit DFG-geförderten Anträgen oder Vorhaben, Behinderung oder chronische Erkrankung, ethnische und soziale Herkunft, Religion, Migrationshintergrund und sexuelle Orientierung. „Auch die Entscheidungsverfahren von Förderorganisationen können einer solchen, unterbewussten Voreingenommenheit unterliegen – auch in einem Kontext wie der Wissenschaft, die per Definition erkenntnisgeleitet ist und Wert auf objektivierbare Ergebnisse legt“, so Medved.

Mittels kontinuierlicher Verbesserung und Beobachtung dieser Initiativen sowie durch den Austausch mit anderen Wissenschaftsorganisationen wird sich die DFG auch in Zukunft weiter für Chancengleichheit in der Wissenschaft einsetzen. Auf internationaler Ebene beteiligt sie sich aktuell an der Gender Working Group des Global Research Council, einem weltweiten Zusammenschluss von Forschungsförderorganisationen, die im Mai in São Paulo tagen wird.

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