Venedig im Visier
Bereits eine Menge Detektivarbeit geleistet hat die Mediävistin Petra Schulte von der Universität Trier. In
ihrem Projekt „Eine resiliente Stadt: Die Republik Venedig im 15. Jahrhundert“ haben sich die Wissenschaftlerin und ihr Team mit dem goldenen Zeitalter Venedigs beschäftigt.

Das Projekt endete Ende 2020 und war Bestandteil einer Forschungsgruppe, die die DFG seit 2016 fördert und die sich mit unterschiedlichen Phänomenen der Resilienz auseinandersetzt. „Wir konnten von Trier aus mühelos online auf das venezianische Staatsarchiv zugreifen. Die bereits erfolgte Digitalisierung der Bestände war mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie ein Glück“, beschreibt die Professorin die Umstände für das Berichtsjahr.
Dabei gelang es ihrem Projekt, erstmals einen systematischen Überblick über die Handlungsfelder und Verfahren eines zentralen Verfassungsorgans der Republik zu erstellen. „Die überlieferten Register sind ungemein vielfältig und führen uns sehr tief in einen Teilbereich des städtischen Lebens der See- und Wirtschaftsmacht Venedigs ein“, so die Historikerin.
Im Mittelpunkt von Schultes Resilienzforschung steht der Rat der Zehn, der dazu beitrug, die Stabilität der Republik aufrechtzuerhalten. Er besaß die Aufgabe, Gefahren zu erkennen und schnell abzuwenden. „Der Rat der Zehn hatte für die Wahrung der Verfassung und der sozialen Ordnung zu sorgen“, erklärt Schulte. Seine rigorosen Maßnahmen leiteten sich von dem nach innen und außen propagierten Bild der Harmonie, der Einheit und der Dauerhaftigkeit Venedigs ab. So verfolgte und bestrafte der Rat politische Gegner auf dem unterworfenen Festland, der sogenannten Terraferma, ebenso wie entehrende Aussagen über die Serenissima sowie die als Bedrohung empfundene Sodomie. Die entsprechenden Beschlussvorschläge und Abstimmungen über die Folter und die Art der Bann-, Haft-, Körper- oder Todesstrafen fanden Eingang in die Register. „Ferner kontrollierte der Rat der Zehn unter anderem die Scuole, die statusübergreifend zusammengesetzten Bruderschaften, die städtischen Feste und den Waffengebrauch in der Stadt“, führt Schulte aus.
Bei ihrer Detektivarbeit stießen Schulte und ihr Team in den Registern immer wieder auf den Begriff der „informatio“: Das Einholen, Ordnen und Deuten von Informationen bildete für den Rat der Zehn die Grundlage für seine Entscheidungen im Namen von Wahrheit und Gerechtigkeit. Zugleich betrieb er über die Verbreitung und Geheimhaltung eine gezielte Informationspolitik – immer mit dem Argument der Sicherheit der Republik.
Für Petra Schulte hat sich daraus ein eigener Schwerpunkt entwickelt. „Wie wichtig ist das Informiert-Sein für Resilienz?“, lautet hier die Frage. Weitere Überlegungen schließen sich an. Zu den Strategien des Rates der Zehn zählten die Zensur, die Überwachung der Bürger und die Förderung der Denunziation. Wie wurde dieses Vorgehen in den zeitgenössischen politiktheoretischen Schriften reflektiert? Und wie beurteilt die Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert das Wirken des Rates der Zehn, der bis zum Ende der Republik 1797 Bestand hatte? Schulte geht diesen Fragen in ihren Forschungen nach. Auch, um Rückschlüsse auf ähnliche Phänomene zuzulassen. Denn: „Die Bestimmung des Verhältnisses von individueller Freiheit und Staatsräson ist ein epochenübergreifendes Phänomen.“