Blick aus verschiedenen Perspektiven
Verfahren, die auf Lernalgorithmen basieren, spielen eine große Rolle im Schwerpunktprogramm „Das digitale Bild“, das den Wandel der digitalvisuell geprägten Welt, die Triebkräfte, Erscheinungsformen und Konsequenzen reflektiert. 2018 von der DFG bewilligt, komplettieren seit 2019 insgesamt zwölf Projekte das SPP unter dem thematischen Dach.

Ein Beispiel, das die Macht des digitalen Bildes widerspiegelt, ist Myanmar, das erst 2011 die Militärherrschaft überwunden hat: Binnen weniger Jahre wurde das südostasiatische Land ins digitale Zeitalter katapultiert. Seit 2013 gilt Facebook dort als Allzweckplattform für Nachrichten, Bilder, Videos
und Unterhaltung – mit teilweise verheerenden Folgen. So machen Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen Facebook wegen dort geposteter Fotos von angeblich mordenden Muslimen und ihren buddhistischen Opfern sowie von Berichten über angebliche muslimische Konspirationen zumindest indirekt für die Vertreibung der Rohingya, einer muslimischen Minderheit, mitverantwortlich. Aber auch Frankreich gerät im Schwerpunktprogramm in den Fokus: Ende 2018 tauchten hier in den sozialen Medien bearbeitete Versionen des berühmten Revolutionsgemäldes „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix aus dem Jahr 1830 auf. Das zeitgenössische Abbild zeigt die revolutionären
„Gelbwesten“ in ihrem Protest und fand sich schnell auf Twitter, Instagram und Facebook wieder.
Die beiden Beispiele zeigen, wie Fotos und Gemälde in den sozialen Medien verwendet und digital modifiziert oder verfremdet werden, um zu manipulieren – politische Folgen bleiben nicht aus. „Unsere digitale Welt ist visuell geprägt“, sagt Hubertus Kohle, Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Sprecher und Koordinator des Schwerpunktprogramms und etabliert seit vielen Jahren Methoden der elektronischen Datenverarbeitung in seinem Fach.
Insgesamt reicht die Bandbreite des Schwerpunktprogramms „Das digitale Bild“ von Themen aus den Medienwissenschaften über Archäologie und Medizin bis hin zur klassischen Kunstgeschichte: von 3-D-Klassifizierungsverfahren über Architekturprozesse im digitalen Bildraum bis hin zur Bildsynthese als Methode des kunsthistorischen Erkenntnisgewinns. „Es ist eine Herausforderung, all diese Projekte zu bündeln und auf eine Metaebene zu bringen, gewissermaßen eine Brücke zu bauen – stets mit dem Blick auf den digitalen Horizont“, sagt Kohle. „Das digitale Bild” will von diesem multiperspektivischen Standpunkt aus in der Zusammenführung der exemplarischen Projekte die zentrale Rolle thematisieren, die dem Bild im komplexen Prozess der Digitalisierung des Wissens in Theorie und Praxis zukommt. Beteiligt an diesem transdisziplinären Austausch, dem ein tief greifender erkenntnistheoretischer Umbruch zugrundeliegt, sind neben Geisteswissenschaftlerinnen
und Geisteswissenschaftlern auch Informatiker und Architekten.