Die Tempelanlagen der Jaina sind ein Forschungsobjekt von Professor Julia Hegewald
© Foto: Julia Hegewald
Emmy Noether-Treffen 2010
Das neunte Emmy Noether-Treffen in Potsdam hat vom 16. bis zum 18. Juli 2010 erneut Geförderte und Ehemalige des Emmy Noether-Programms der DFG zusammengebracht.

Die knapp 190 Teilnehmenden, unter ihnen auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die Starting Grants des European Research Council (ERC) erhalten haben, tauschten sich aus und diskutierten aktuelle Themen der Wissenschaftspolitik.
Erkenntnistransfer – Vom Nutzen der Wissenschaft
Gleich zwei Veranstaltungen befassten sich mit dem Erkenntnistransfer und dem Verhältnis von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung und schlossen somit nahtlos an die Jahresversammlung der DFG Anfang Juli an. Auch dort hatte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner in seiner Rede im Rahmen der Festveranstaltung das Thema beleuchtet. Die Idee: Das Wissen, das in DFG-Projekten entsteht, soll „nützlich“ werden. Diesen Prozess will die DFG schneller und effizienter machen.

Wie das gehen kann, stellte Professor Detlev Leutner, Psychologe an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des DFG-Senats, gemeinsam mit Dr. Amelie Winkler und Dr. Michael Lentze aus der DFG-Geschäftsstelle vor. Unter dem Titel „‚Zweckfrei‘ heißt nicht ‚ergebnisfrei‘“ beleuchtete er, wie das Thema in der DFG-Förderung seit den 1990er-Jahren immer mehr in den Mittelpunkt gerückt ist und dass der Anspruch, Erkenntnisse zum Nutzen der Gesellschaft einzubringen, für alle Disziplinen gilt. Er schilderte, welche Rahmenbedingungen für die neuen Fördermöglichkeiten gelten und betonte dabei, dass die DFG Forschung bis zum Prototypen unterstützen könne. Dabei solle das gemeinsame Vorgehen mit Unternehmen keine Einbahnstraße sein, sondern beiden Partnern neue Möglichkeiten eröffnen.

Die Abendveranstaltung „Vom Nutzen der Wissenschaft – Grundlagenforschung versus Anwendungsperspektive?“ führte das Thema auf einer abstrakteren Ebene fort. Zunächst beleuchteten auf dem Podium Professor Erich Reinhardt, ehemaliger „Industriesenator“ der DFG und Vorstandsmitglied von Siemens, Professor Annette Grüters-Kieslich, Dekanin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Professor Günther Schauerte, Stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, das Thema aus ihrem jeweiligen Blickwinkel. Grüters-Kieslich mahnte eine neue Sicht auf Grundlagenforschung und Angewandte Forschung sowie die „Zweckfreiheit“ der Wissenschaft an. Schauerte zeigte auf, inwiefern Museen forschen und welche Rolle der Erkenntnistransfer in dem Vierklang „Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen“ spiele. Reinhardt führte aus, dass Forschung ohne den Zweck der Erkenntnis nicht möglich sei und dass „Spielplätze“, auf denen Forschende frei, kreativ und im Austausch arbeiten können, für Innovationen unabdingbar seien. Die drei Podiumsteilnehmer betonten, wie wichtig geeignete Strukturen und das interdisziplinäre „Über-den Tellerrand-Schauen“ seien. Außerdem müssten Wissenschaft und Industrie Verständnis füreinander und geeignete „Spielregeln“ entwickeln, um zu Partnern zu werden.
In der Diskussion mit dem Publikum kam vor allem die Frage nach der Verteilung der Mittel auf. Denn Drittmittel lenkten immer auch die Strategie der Hochschulen. Die Teilnehmenden betonten, dass Freiheit und Risikobereitschaft für gute Ergebnisse wichtig seien. Und diese kämen schließlich auch der Gesellschaft zugute. Dabei gehe es nicht nur um Erkenntnisse und Produkte, sondern auch um Menschen, die mit fundierter wissenschaftlicher Bildung – auch wenn sie nicht in der Forschung arbeiteten – das wichtigste Potenzial für die Zukunft seien. Klar wurde, dass eine Abgrenzung zwischen Grundlagenforschung und Angewandter Forschung nicht möglich – und in den meisten Fällen auch nicht nötig – ist.

Emmy Noether-Lecture
„Just pretty pictures?“ – diese Frage war der Ausgangspunkt für die kunstgeschichtliche Emmy Noether Lecture am Samstagabend. Die auf Kunst- und Baugeschichte Südasiens spezialisierte Professorin Julia Hegewald stellte eindrucksvoll bebildert ihre Forschungen in Indien vor. Doch die Wissenschaftlerin verdeutlichte: Es geht um mehr als „pretty pictures“ – die von ihr betrachtete Kunst ist immer eng verbunden mit Gesellschaft, Politik und vor allem Religion, nie geht es um bloße Ästhetik. Und: Die Verbundenheit zeigt sich nicht nur bei Statuen und Bildern, sondern auch bei Textilien, Buchkunst und vor allem der Architektur.
Im Fokus der Arbeit steht die Religionsgruppe der Jaina, das sich durch eine Religion der kompletten Entsagung auszeichnet. Hegewald hat erstmals dessen Kultur erfasst und auch dessen Niedergang im frühen 12. Jahrhundert dokumentieren können. Darüber hinaus forscht sie interdisziplinär darüber, welche Rolle Symbole für das nationale Verständnis spielen. Als Beispiel führte sie das Regierungsgebäude in Delhi an, das, während der Kolonialzeit erbaut, indische ebenso wie europäische Einflüsse aufnimmt und so allen Bürgern als nationales Symbol dienen soll.
Human Frontier Science Program
Bei einem weiteren Programmpunkt stand ein Förderprogramm im Bereich der Lebenswissenschaften im Fokus. Der ehemalige DFG-Präsident Professor Ernst-Ludwig Winnacker berichtete von seiner Arbeit für das „Human Frontier Science Program“ (HFSP) – eine international finanzierte Organisation mit dem Ziel, innovative Forschung zum Thema „complex mechanisms of living organism“ zu fördern. Das Programm steht für globalen Austausch und die Überwindung von Grenzen: Die so geförderte Zusammenarbeit von Forschenden soll nicht nur international, sondern interkontinental sein. Mit Blick auf die „Human Frontiers“ von morgen machte Winnacker klar: Für Erkenntnisfortschritte in den Lebenswissenschaften ist Interdisziplinarität längst nicht mehr alles – erst die Kombination mit Exzellenz und Risikobereitschaft ist entscheidend. Und genau hier setzt das HFSP an.

Austausch der Geförderten
Das Emmy Noether-Treffen stand ganz im Zeichen des Austauschs. „Neulinge“ suchten das Gespräch mit den „alten Hasen“ und die Mitarbeitenden der DFG-Geschäftsstelle berieten in den vielen angebotenen Sprechstunden und darüber hinaus. Wie in jedem Jahr behandelten verschiedene Workshops die Aspekte der DFG-Förderung. Den Auftakt machten am Freitag fachliche Workshops, die am Samstag und Sonntag von Veranstaltungen zu Fragen rund um die Nachwuchsgruppen des Emmy Noether-Programms und zur EU-Förderung ergänzt wurden.
Die Rubrik „Neues aus der DFG“ komplettierte das Informationsangebot. Die Geschäftsstelle stellte unter anderem aktuelle Zahlen zum Emmy Noether-Programm vor, stimmte auf die Fachkollegienwahl 2011 ein und erklärte die seit 1.7.2010 gültigen Richtlinien zu Publikationsverzeichnissen – ein Punkt, zu dem besonders intensiv nachgefragt wurde. Genauso wichtig: Die neuen Möglichkeiten, die sich in Kürze durch die Flexibilisierung von Budgets ergeben. Infos gab es auch zur internationalen Zusammenarbeit. Hier stand eine Japanreise im September 2009 im Mittelpunkt – die Neurowissenschaftlerin Professor Ileana Livia Hanganu-Opatz berichtete stellvertretend für eine neunköpfige Gruppe von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern von ihrer Teilnahme auf der Jahrestagung der japanischen Neurowissenschaftlichen Vereinigung.

Eine Neuerung beim neunten Emmy Noether-Treffen war der "Posterflash". Denn die Poster, in denen die Teilnehmenden ihre Projekte vorstellten, wurden nicht nur ausgestellt, sondern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten jeweils eine Minute Zeit, um im Plenum für ihre Poster zu werben. Die launige Veranstaltung – moderiert von Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleiter Dr. Christoph Eberl vom KIT und von „Einheizer“ Dr. Christoph Limbach aus der DFG-Geschäftsstelle begleitet – machte Lust auf mehr und führte zu angeregten Diskussionen an den Postern.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Auch das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ stand wieder auf dem Programm. Denn gerade die Phase der beruflichen Qualifizierung ist oft auch die der Familiengründung. Dass die Wissenschaft mit hohen Anforderungen an Flexibilität und Leistung hier besondere Anforderungen stellt, während auf der anderen Seite geeignete Betreuungsangebote immer noch Mangelware sind, diskutierten die Teilnehmenden im Rahmen des Emmy Noether-Treffens erneut. Das Treffen selbst bewies wiederum eindrucksvoll, dass exzellente Wissenschaft und Familie Hand in Hand gehen können. Viele der jungen Forschenden hatten ihre Kinder mitgebracht, die von der angebotenen Kinderbetreuung profitierten.
Das nächste Emmy Noether -Treffen ist für den 20. bis 22. Juli 2011 wieder in Potsdam geplant.