Leibniz-Preisträger Michael Brecht besucht neurowissenschaftliche Exzellenzeinrichtungen in Brasilien

(22.05.18) Der 2012 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ausgezeichnete Neurowissenschaftler Prof. Dr. Michael Brecht stellte Ende April seine Forschungstätigkeiten in Brasilien vor. Das DFG-Büro Lateinamerika organisierte dafür zwei Leibniz Lectures in São Paulo und in Rio de Janeiro und ein wissenschaftliches Rahmenprogramm für Brecht, der zum ersten Mal das größte Land Lateinamerikas besuchte. Auf der Agenda standen Termine in renommierten Forschungseinrichtungen im Bereich Neurowissenschaften an der Universität São Paulo (USP), der Bundesstaatlichen Universität Campinas (UNICAMP) und im Instituto D’Or (IDOR) in Rio de Janeiro.

Vortrag „Neuronale Kodierung und Unterdrückung von Bewegung im motorischen System“ an der USP

© DFG

Gleich zu Beginn lernte Brecht den größten Krankenhauskomplex Lateinamerikas kennen: das Universitätsklinikum der USP (Hospital das Clínicas) mit einer Fläche von 352.000 m² und 2400 Betten. Neben kostenloser medizinischer Betreuung dient die Einrichtung außerdem der akademischen Ausbildung sowie der Grundlagen- und angewandten Forschung. Zu diesem Zweck stehen 62 Labore zur Verfügung, die von mehr als 120 Arbeitsgruppen genutzt werden.

Dazu zählt auch das Labor für Neurostimulation, das sich mit der Erforschung neurologischer Störungen befasst und sich insbesondere auf die Behandlung von Schlaganfallpatienten konzentriert. Rund 15 Millionen Menschen weltweit sind davon betroffen, wobei ein Drittel davon an schweren Folgekrankheiten leidet und ein weiteres Drittel nicht überlebt. Die Laborleiterin Prof. Dr. Adriana Conforto stellte ihre Arbeit vor, in die auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Bereiche Neurologie, Physiotherapie und Ergotherapie eingebunden sind.

Eine häufige Folge eines Schlaganfalls ist Schwäche in den Händen, und eines der Forschungsprojekte der Gruppe untersucht, ob durch die Stimulierung von Gehirn oder Nerven Verbesserungen erzielt und Verschlimmerungen, die bis hin zu Lähmungen oder Behinderungen reichen, verhindert werden können.

In diesem Kontext wurde Brecht von den Forscherinnen und Forschern der Institution eingeladen, einen Teil seiner Arbeit zu präsentieren. Sein Vortrag mit dem Titel „Neuronale Kodierung und Unterdrückung von Bewegung im motorischen System“ wurde von rund 50 Anwesenden aus den verschiedensten Instituten und Laboren des Klinikums und der USP aufmerksam verfolgt. Dabei ging er insbesondere auf aktuelle, oft unbeachtete Erkenntnisse ein, denen zufolge die Nervenzellen des motorischen Kortex nicht nur für das Ausführen von Bewegungen verantwortlich sind, sondern auch für deren Unterdrückung.

Der Doktorandin Joselisa Paiva, die das Restless-Legs-Syndrom (RLS) untersucht, hat Brechts Vortrag an der USP eine neue Perspektive für die Interpretation ihrer Forschungsergebnisse eröffnet – die Ursache des 1672 erstmalig beschriebenen Syndroms ist bis heute unbekannt. „Uns kam der Gedanke, dass eine mögliche Ursache für das RLS sein könnte, dass die Nervenzellen des motorischen Kortex den Befehl zur Unterlassung der Bewegung nicht weitergeben können. Diese Auslegung wurde bisher in der einschlägigen Literatur noch nie erwähnt“, erklärte sie.

Die nächste Station führte Brecht in die nahe São Paulo gelegene Stadt Campinas, wo er das an der UNICAMP angesiedelte Brasilianische Institut für Neurowissenschaften und Neurotechnologie (BRAINN) besuchte. Die Einrichtung wird von der DFG-Partnerorganisation FAPESP finanziert und konzentriert sich auf Erkrankungen des Gehirns, insbesondere Schlaganfälle und Epilepsien. Rund 50 Millionen Menschen aller Altersstufen leiden an Epilepsien und bislang existiert noch keine Heilung. Das BRAINN vereint Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen wie Genetik, Neurobiologie, Pharmakologie, Neurobildgebung, Informatik, Robotik, Ingenieurwesen und Physik, die gemeinsam nach neuen Wegen suchen für ein besseres Verständnis sowie die Behandlung und Prävention von Hirnerkrankungen.

BRAINN-Koordinator Prof. Dr. Fernando Cendes führte den Gast aus Deutschland durch die Labore und Institutsräumlichkeiten. Neben der Besichtigung bekamen außerdem sechs Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Gelegenheit, Brecht ihre Projekte vorzustellen. Die Bandbreite an Themen reichte vom Einsatz von Zebrafischen zur Untersuchung von Epilepsie bis hin zur Optimierung der Gehirn-Computer-Schnittstelle zur Steuerung von Prothesen und Rollstühlen durch Hirnsignale. „Es war mir eine Freude, Einzelheiten der Arbeit des wissenschaftlichen Nachwuchses zu erfahren – die Projekte sind sehr interessant und von hoher wissenschaftlicher Qualität“, so die Einschätzung des Leibniz-Preisträgers.

Von Campinas aus ging die Reise weiter nach Rio de Janeiro, wo Brecht das Lehr- und Forschungszentrum Instituto D’Or (IDOR) besuchte. Die gemeinnützige Privateinrichtung bietet Studiengänge im Bereich Graduierung und Postgraduierung an und ist in der klinischen Forschung – besonders im Bereich Neurowissenschaften – aktiv. Vorgestellt wurden sowohl die modernen Labore als auch verschiedene Forschungsprojekte, die sich unter anderem mit neuronaler Plastizität, kognitiver Neurobildgebung und Mini-Gehirnen beschäftigen.

Brecht (links) besuchte das IDOR in Rio de Janeiro

© DFG

Wissenschaftlicher Nachwuchs

Alle drei Stationen beinhalteten einen Austausch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Im IDOR nahm Brecht an einer Gesprächsrunde mit Studierenden und Promovierenden teil, die einen Einblick in seinen Forschungsalltag bekamen. Weitere Gesprächsthemen waren die Bedeutung der Grundlagenforschung für die Wissenschaft und deren Beitrag zur klinischen Praxis, der Wettbewerb in den Neurowissenschaften sowie die Höhen und Tiefen einer wissenschaftlichen Karriere. Dabei wurde auch auf gemeinsame Aspekte der Wissenschaft in beiden Ländern, wie zum Beispiel die unzureichende Stellensituation in der Forschung, eingegangen.

Brecht zufolge war es nicht immer einfach, die Karriere als Forscher zu verfolgen und an einer wissenschaftlichen Hypothese festzuhalten. Sein Rat an die anwesenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler lautete: „Man muss der Aussage, dass etwas unmöglich ist, trotzen und das Unmögliche herausfordern.“

Der Doktorand Theo Martins schöpfte Motivation aus dem Dialog mit dem erfahrenen Wissenschaftler. „Es ist interessant zu hören, dass auch erfolgreichen Forschern wie Brecht auf ihrem Karriereweg Schwierigkeiten begegnen, die zu meistern sind. Das ist gewissermaßen beruhigend für uns und ermutigt dazu, weiterzumachen und unseren Platz in der Wissenschaft zu finden“, bekräftigte er.

Angesichts des großen Interesses am Aufbau von Kooperationen stellte Dr. Kathrin Winkler, Leiterin des DFG-Büros Lateinamerika, die Förderprogramme und gemeinsamen Initiativen mit den regionalen Partnern vor. An der USP erwähnte sie insbesondere die Finanzierungsmöglichkeiten zusammen mit der FAPESP und im IDOR wurden zusammen mit dem DAAD und der Alexander von Humboldt-Stiftung die Förderinstrumente für den wissenschaftlichen Nachwuchs präsentiert.

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